Fast 10.000 Tonnen potentiell infektiöse bzw. hochinfektiöse Abfälle verlassen jährlich Deutschlands Krankenhäuser auf den Weg in die Entsorgung. Normalerweise werden diese zum größten Teil in Sonderabfallverbrennungsanlagen vernichtet und gehen damit im Sinne der Kreislaufwirtschaft als Ressource verloren. Aber auch hier gibt es neue Entwicklungen und Möglichkeiten, um Wertstoffe zurückzugewinnen, damit Nachhaltigkeit in Kliniken zu fördern und so dem Umwelt- und Ressourcenschutz gerechter zu werden. Um sich über aktuelle Projekte und Ideen auszutauschen, trafen sich 30 Expertinnen und Experten aus ganz Deutschland im Dänischen Pavillon auf dem Expo-Gelände in Hannover.
Der 3. Expertentreff für Abfallbeauftragte aus medizinischen Einrichtungen zum Thema nachhaltige Kreislaufwirtschaft am 14. September 2022 stand von Anfang an unter gutem Omen, denn er fand in der bundesweiten Woche der Klimaanpassung statt. Unsere Redaktion wählte den Titel der Eröffnungsansprache auch deshalb motivierend und optimistisch: „Keine Angst vorm Klimaschutz – Krankenhäuser als Impulsgeber“. Der Konflikt liegt – gerade in heutigen Zeiten – klar auf der Hand: Deutschland möchte klimaneutrale Kliniken bis 2045, steigende Energie- und Einkaufspreise stellen die Verwaltung aber vor kaufmännische Herausforderungen und bremsen die Investitionsbereitschaft. Auch die Mehrausgaben aufgrund der Corona-Pandemie haben Löcher hinterlassen. Die große Frage ist daher: Wie kann es trotz Sparmaßnahmen vielleicht gelingen, dass Krankenhäuser ihre Abfallentsorgung nachhaltiger gestalten?
Grundsätzlich gilt: Die Verbindung von Klimaschutz und Daseinsvorsorge ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vor allem die jeweilige Landesregierung bewältigen muss. Dass heißt, es wird nicht ohne Förderung gehen und darüber muss seitens der Politik transparent kommuniziert werden. Unsere Krankenhäuser konnten sich in den letzten Jahren nicht um den Klimaschutz im großen Stil kümmern, sondern haben um Personal und Qualitätsstandards gekämpft. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat zu dieser Problematik bereits eine Schätzung veröffentlicht: Der Bedarf für die Klimaschutzanpassungen der Krankenhäuser bewegt sich im mittleren zweistelligen Milliardenbereich, allerdings stammt diese Berechnung vor den steigenden Energiekosten, die wir jetzt annehmen müssen. Perspektivisch stehen wir im medizinischen Sektor hier vor einer sehr großen Aufgabe, aber weil uns allen das „Big Picture“, quasi ein Rezept für alle Häuser fehlt, geht es für alle erstmal in kleinen Schritten und ganz individuell voran.
Zehn Tipps von unserer Expertenrunde
1. Kleine Schritte statt großer Strategie
Nach unserer Einschätzung ist gerade nicht die richtige Zeit, um eine ganze Klinik mit hohen Investitionskosten umzubauen. Legen Sie zunächst erst einmal alle großen Vorhaben in Ihrem Haus beiseite und beginnen Sie mit wenigen, passenden Maßnahmen oder: Wenn Sie schon losgelaufen sind, starten sie weitere kleine Projekte, die Ihrer Klinik guttun. Erlauben Sie sich zunächst erst einmal einen Überblick zum Thema Nachhaltigkeit und Krankenhaus, Bücher wie „Green Hospital – Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung im Krankenhaus“ motivieren und geben Ihnen ökologische und ökonomische Perspektiven.
2. Passende Abfallkonzepte und kluges Abfallmanagement
Ca. 70 Prozent aller großen Krankenhäuser, die befragt wurden, haben bereits Konzepte zur Mülltrennung und -vermeidung eingeführt. Hervorragend! Für alle, die es nicht haben, ist das ein unabdinglicher Grundstein am Anfang. Deshalb: Sprechen Sie mit Ihrem Entsorger des Vertrauens über eine Optimierung in Ihren Häusern. Oft gibt es Stellschrauben, bspw. neue Behälter, Farbleitsysteme und Entsorgungsmöglichkeiten, an die Sie noch nicht gedacht haben. Oft scheitert die Umsetzung in den Abteilungen an Fehlwürfen, die nicht sein müssen. Mehrsprachige Deklaration und Schulungen des Personals sind Maßnahmen, die dem entgegenwirken. Saubere Abfallfraktionen sollten das Ziel eines guten Konzepts sein. Denn was ganz klar ist: Die Entsorgungsbranche arbeitet kontinuierlich daran, dass so viele Abfälle wie möglich in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden. Gerade eine gewissenhafte Vorsortierung kann anfallende Entsorgungskosten reduzieren. Wie Arztpraxen von externen Abfall-Beraterinnen bereits profitieren konnten, berichteten beim Expertentreff Julia Adelt und Henrike Wedekind in ihrem Vortrag zu nachhaltigem Abfallmanagement im Medizinsektor. Nach ihrer Forschungsarbeit haben sich die beiden ehemaligen Studentinnen mit ihrem Schwerpunkt selbstständig gemacht.
3. Fachliche Weiterbildungen und ein gutes Netzwerk
Ein Netzwerk an Experten und regelmäßige Fortbildungen sind von unschätzbarem Wert. Versuchen Sie gemeinsam mit Ihrer Klinikleitung Ihre Weiterbildung zu planen. Schulungen, Messen und Branchentermine lassen Sie nicht nur kompetenter, sondern auch kreativer werden. Allein ein Gespräch kann Ideen entstehen lassen, an die Sie bislang nicht dachten oder ein Problem lösen, vor dem Sie bis vor Kurzem ganz allein standen. Nehmen Sie sich Zeit zum Lesen, Nachdenken und Diskutieren – auch über die zwei Jahre Fachkunde hinaus. Viele Abfallbeauftragte pflegen bereits regelmäßigen Kontakt zu Fachkollegen und -kolleginnen aus anderen Häusern, auch über die Landesgrenzen hinweg. Sie organisieren sich in Arbeitskreisen, Fach-Foren und Social Media und lesen regelmäßig den Abfallmanager Medizin. Beim Expertentreff konnte beispielsweise die abschließende Podiumsdiskussion einen Beitrag leisten, vor allem zu ganz konkreten Themen wie Behältervarianten, Transportsystemen und Recyclingoptionen für medizinische Abfälle.
4. Nachhaltige Potentiale erkennen
Nehmen Sie Ihr Haus und dessen Abfälle noch einmal genau unter die Lupe, von Station zu Station, von Abfallraum zu Nebengebäuden. Ist es vielleicht die Kantine, in der man anfallende Speisereste reduzieren kann? Wie wäre es, statt Einwegverpackungen zum Beispiel Marmelade in Waffelbechern anzubieten? Auch ein Blick in die OPs lohnt sich immer. Gibt es bereits OP-Besteck, was als Mehrweg zu sterilisieren ist oder verlangen die Hygieneregeln hier tatsächlich Einweginstrumente? Wussten Sie zum Beispiel, dass Metalle aus dem Abfall 180103* entzogen und einem Recyclingprozess zugeführt werden können? Dann werden die zu entsorgenden Abfälle auch leichter. Genauso weist die fachgerechte Entsorgung analoger Röntgenfilme Potential auf.
5. Austausch mit den Abteilungen
Wenn Sie sowieso in Ihrer Klinik unterwegs sind, reden Sie mit den Kolleginnen und Kollegen anderer Bereiche. Oft hat auch das Pflege- oder Reinigungspersonal gute Hinweise, wie Abfälle besser aufbewahrt oder sortiert werden können. Ein offenes Ohr für die Ärzteschaft oder die technischen Angestellten bringt nicht nur Sympathie, sondern auch Sie auf Ideen. Beziehen Sie andere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Ihre Überlegungen mit ein. Vor allem den Einkauf, denn Abfallvermeidung beginnt bereits bei der Wahl der Hersteller und deren Medizinprodukte.
6. Initiativen schaffen Ansporn, Förderprogramme helfen beim Finanzieren
Um mit den Worten der Projektleiterin von „Klimaschutz in Gesundheitseinrichtungen BUND Berlin e.V.“, Dipl.-Ing. Annegret Dickhoff zu sprechen: Es geht heute um die weltweite „planetare Gesundheit“. EU, Bund und Länder fördern Einrichtungen, die sich das zur Aufgabe gemacht haben. Initiativen wie die erfolgreich umgesetzte Maßnahme „KLIK Green“ schaffen nicht nur inhaltliche Anreize, sondern auch Zertifizierungen und öffentliche Wertschätzung. Allein 250 Krankenhäuser und Praxen haben sich an „KLIK Green“ beteiligt – vom kleinen HNO-Team bis zur Stabsstelle im Uniklinikum. In Dickhoffs Vortrag zum Expertentreff fanden sich vorbildhafte Projekte und Beispiele – Nachahmen ausdrücklich erwünscht!
7. Digitalisieren von Prozessen
Vermeiden Sie Abfälle durch Papier bei Ihrer täglichen Arbeit, indem Sie Ihr Haus auf digitale Patientenakten umstellen. Mit IT-basierten Lösungen und Systemen schaffen Sie Zahlen, Fakten, können Abfallströme besser erfassen und tägliche Management-Aufgaben besser bewältigen. Viele Dienstleister besitzen bereits Kundenportale, versenden Rechnungen via E-Mail oder bieten Schnittstellen zu Ihrer IT-Infrastruktur. Übrigens: Wie eine App seine Arbeit als Abfallbeauftragter des UK Bonn erleichtert, konnten die Teilnehmer des Expertentreffs von Michael Schmitz erfahren, der über digitales Entsorgungsmanagement in seiner Klink berichtete. Dank der Digitalisierung wurde das gesamte Abfallmanagement auf eine neue Stufe gestellt.
8. Nachhaltigkeitszertifikate belegen Erfolge
Keine Maßnahme ohne Evaluierung – Lassen Sie sich auch kleine Erfolge auswerten und zertifizieren. Am Ende des Jahres können Sie für Ihr besonnenes und strukturiertes Abfallmanagement die wohlverdienten Früchte ernten. Auch kleine Veränderungen können viel bewirken. Gerade die Zertifikate über fachgerechte Entsorgung von Atemkalk oder der Nachweis über die Rückgewinnung von Edelmetallen aus Ihren Klinikabfällen können bereits viele positive Effekte in der Bilanz vermitteln. Sie brauchen diese Nachweise sicherlich in Ihrer Argumentation, um weitere Schritte in Sachen Nachhaltigkeit zu gehen.
9. Tue Gutes und rede darüber
Eines Ihrer Projekte ist wunderbar geglückt, Sie haben als Team besser sortiert, Ihre Abfallbilanz und die Qualität Ihrer Abfälle sind besser denn je? Reden Sie darüber, berichten Sie gegenüber der Klinikleitung, bringen Sie Ihre good news in die interne Öffentlichkeitsarbeit mit ein. Damit setzen Sie Signale für das gesamte Krankenhaus, motivieren und schaffen Akzeptanz unter allen Mitarbeitenden. Gehen Sie in Absprache mit Ihrer Kommunikationsabteilung mit Ihren Informationen auch nach außen, z. B. in eine Ausgabe des Abfallmanager Medizin. Auch wir als Redaktion sind immer wieder an neuen Erfolgsgeschichten interessiert, aber auch an wichtigen Erfahrungen, wenn etwas nicht gelungen ist.
10. Sprechen Sie mit Ihren Dienstleistern
Überprüfen Sie auch die Entsorgungsfachbetriebe und deren EfbV-Zertifizierung. Eine Abfall-Abholung bedarf immer Begleitpapieren, Übernahmescheinen und vor allem fachkundiger Auskunft, was mit den Fraktionen beim Recycling oder der Vernichtung konkret passiert. Oft hat auch der Entsorger zu Ihren Fachfragen eine passende Antwort, eine Idee oder sogar eine neue Behälterlösung parat. Jeder hat auf seinem Feld Expertise, nutzen Sie den Austausch und das Know-how der Partner und Partnerinnen Ihres Vertrauens.
In diesem Sinne: Keine Angst vorm Klimaschutz! Wir danken allen Referenten und Referentinnen, allen Teilnehmenden, Partnern und den Gastgebern für diesen wundervollen 3. Expertentreff in Hannover und freuen uns auf nächstes Jahr.
Quellen
- Abfallmanager Medizin: Nachhaltigkeit durch Abfallvermeidung und Wiederverwendung
- Deutsche Krankenhausgesellschaft: DKG zum Klimagutachten des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI): Krankenhäuser fordern Mittel für klimagerechte Investitionen
- Deutsches Krankenhausinstitut: Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern: Status quo, Maßnahmen und Investitionskosten
- KLIK Green: Krankenhaus trifft Klimaschutz: Klimamanager*innen qualifizieren, CO2 reduzieren
- Abfallmanager Medizin: Europäischer Grüner Deal: Krankenhäuser auf dem Weg zur Klimaneutralität
- BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)