Von Krankenhausbettwäsche über medizinische Schutzkleidung bis zur Gefäßprothese – Textilien sind im Gesundheitswesen unverzichtbar, denn sie finden in fast jedem Bereich der Patientenversorgung vielfältige Anwendungen. Daher gewinnen Innovationen und nachhaltige Entwicklungen zunehmend an Relevanz. Im Interview sprachen wir mit Jenny Liebelt und Nadine Liebig vom Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz über Recyclingherausforderungen und die Zukunft medizinischer Textilien.
Zur Person: Jenny Liebelt
- seit Februar 2024 Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Abteilung Web- und Maschenwaren, Sächsisches Textilforschungsinstitut e. V. Chemnitz
- März 2023 – September 2023 Masterandin bei RAUMEDIC AG
- 2021 – 2024 M. Sc. für Biomedizinische Technik, Technische Universität Chemnitz
- 2018 – 2022 SLG Prüf- und Zertifizierungs GmbH
- 2017 – 2021 B. Eng. für Biomedizinische Technik, Westsächsische Hochschule Zwickau – Fachhochschule in Zwickau
Zur Person: Nadine Liebig
- seit Juli 2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Abteilung Web- und Maschenwaren, Sächsisches Textilforschungsinstitut e. V. Chemnitz
- 2010 – 2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin – Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen Freiberg
- 2007 – 2010 Wissenschaftliche Hilfskraft – Institut für Physik, Professur für Chemische Physik, Technische Universität Chemnitz
- 2003 – 2009 Physikstudium – Diplom, Technische Universität Chemnitz
Das Sächsische Textilforschungsinstitut Chemnitz beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Forschung sowie Entwicklung an und von Textilien. Geben Sie uns einen kurzen Einblick in Ihre tägliche Arbeit?
Jenny Liebelt: Das Sächsische Textilforschungsinstitut folgt der langen Textiltradition unseres Standortes Chemnitz – bereits im 14. Jahrhundert hatte sich die Stadt in der Textilbranche einen Namen gemacht. Heute steht bei uns aber weniger die Textilherstellung und deren Vertrieb im Fokus, sondern wir beschäftigen uns vor allem mit der Forschung und Entwicklung innovativer technischer Textilien. Unsere 150 Kolleginnen und Kollegen arbeiten aktuell in über 110 nationalen sowie europäischen Forschungsvorhaben – u.a. zum textilen Leichtbau, technischen Web- & Maschenwaren, verschiedenen Vliesstoffen und dem großen Thema textile Nachhaltigkeit. Für diese Projekte werden wir entweder von Firmen beauftragt oder wir bewerben uns für öffentlich geförderte Forschungsvorhaben. Das Branchenspektrum ist dabei sehr vielfältig, denn Textilien braucht es in nahezu allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens – darunter im Bauwesen, der Landwirtschaft, Verpackungsindustrie, Verkehr und Logistik, aber auch in der Medizin.
Textilien als wichtiger Bestandteil der Patientenversorgung
Welche Arten von Textilien kommen in der Gesundheitsversorgung zum Einsatz?
Nadine Liebig: Der Einsatz textiler Produkte im Gesundheitswesen ist wesentlich vielfältiger, als man auf den ersten Blick glauben mag. Von textiler OP-Bekleidung wie Kittel, Hauben oder Masken und textilen Mehrwegartikeln wie Handtüchern, Bettwäsche, Decken oder Matratzen über diagnostische Artikel wie Elektroden und Blutdruckmanschetten bis hin zu implantierbaren Textilien wie Gefäßprothesen oder Herniennetzen gibt es in nahezu allen Bereichen der Patientenversorgung unterschiedlichste Textilien. Diese große Vielfalt zeigt sehr gut, wie wichtig, aber auch wie facettenreich Textilforschung in der Medizin ist.
Welche Kriterien sind bei der Auswahl von Krankenhaus-Textilien besonders wichtig?
Nadine Liebig: Textilien – egal wo und wie sie in der Patientenversorgung genutzt werden – müssen vor allem die hohen Hygienestandards des Gesundheitswesens erfüllen. Gerade bei Mehrwegtextilien ist es deshalb besonders wichtig, dass diese Produkte leicht zu reinigen, desinfizierbar sowie sterilisierbar sind. Dafür müssen sie gängigen Aufbereitungsprozessen standhalten, besonders reißfest und temperaturunempfindlich sein. Gerade Haltbarkeit, Langlebigkeit, Standardisierung und Rückverfolgbarkeit sind für die Nutzung in Krankenhäusern essenziell, um die Qualität der Versorgung dauerhaft gewährleisten zu können. Da der größte Teil der Textilien direkten Patientenkontakt hat, sind aber auch der Komfort und die Funktionalität – darunter beispielsweise die Hautverträglichkeit – entscheidend. Zudem werden speziell in der Medizinbranche – vor allem in den letzten Jahren – Umweltaspekte immer wichtiger.
Wie kann man sich den „normalen“ Lebenszyklus eines Krankenhaus-Textils vorstellen?
Jenny Liebelt: Den „normalen“ Lebenszyklus eines Krankenhaus-Textils gibt es eigentlich nicht, denn wie oft ein Textil eingesetzt, ob es recycelt und auch aus welchen Materialien es besteht, ist immer abhängig vom Einsatzgebiet. Hygieneartikel wie Inkontinenzprodukte gehören beispielsweise zu den Einwegtextilien, während Handtücher, Bettwäsche und Matratzen mehrfach genutzt werden können. Beispielhaft lässt sich aber der Lebenszyklus einer im Krankenhaus genutzten Matratze beschreiben: In der Herstellung werden Garne aus Fasern zu einer textilen Fläche verarbeitet und in einigen Fällen erfolgt hier auch eineantimikrobielle Ausrüstung. Da es sich bei der Matratze um ein Mehrfachtextil handelt und damit viele Patientinnen und Patienten mit dem Textil in Kontakt kommen, muss – vor allem aus hygienischer Perspektive – regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden. Matratzen werden meist nach einer Nutzungsdauer von ca. zehn Jahren thermisch verwertet oder deponiert. Allerdings bieten Matratzen, sofern bereits bei der Entwicklung nachhaltige und innovative Materialien genutzt werden, großes Recyclingpotenzial – damit beschäftigt sich eines unserer aktuellen Forschungsprojekte. Wichtige Kriterien im medizinischen Bereich sind auch regulatorische Vorschriften und Standards, so gelten bei den als Medizinprodukt deklarierten Textilien besondere Anforderungen.
Forschung zu medizinischen Textilien
Welche Forschung betreibt das Institut im Bereich der medizinischen Textilien? Hat sich die Forschung in den letzten Jahren verändert und wenn ja, wie?
Nadine Liebig: Textilien gewinnen in der Medizin immer stärker an Bedeutung und textile Hightech hält Einzug in OP-Säle, Arztpraxen und Versorgungsräume. Der gesamte Markt für textile Medizintechnikprodukte hat in den letzten Jahren kontinuierliches Wachstum verzeichnet und dieses Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft – das zeigt auch die Vielfalt unserer Forschungsprojekte.Aktuell forschen wir an textilen Unterstützungsstrukturen zur Erfassung und Korrektur von Körperhaltungen darunter Bandagen, Orthesen und Exoskelette. Speziell für den Pflegebereich testen wir zudem sensorische Teilsysteme, die beispielsweise Vitalfunktionen messen können. Dafür fertigen wir mit Sensoren ausgestattete Polster für einen Stuhl an, der u. a. den detektierten Druck und Temperatur messen kann. Zusätzlich forschen wir an verschiedenen Hygieneartikeln sowie spezifischen Gesundheitstextilien, die wir aus nachhaltigen und recycelbaren Materialien wie Hanf oder Bio-Polymeren (PLA) fertigen – dieser Trend hat aufgrund der Bemühungen zur Kreislaufwirtschaft in den letzten Jahren stark zugenommen.
Gibt es bereits Projekte, in denen Textilien aus dem medizinischen Bereich oder aus Krankenhäusern aufbereitet werden?
Jenny Liebelt: Projekte, in denen wir konkret Materialien oder Abfälle aus Kliniken zu Recyclingrohstoffen aufbereiten, gibt es aktuell nicht. Diese Abfallströme sind bisher nur wenig lukrativ, weshalb man auf Abfälle aus anderen Branchen setzt. Wir arbeiten allerdings an Projekten, die sich mit dem Design und der Substitution von Textilien auseinandersetzen und u. a. in Krankenhäusern eingesetzt werden. Hier steht für uns die Recyclingfähigkeit der Produkte im Vordergrund. Zudem forschen wir aktuell, wie bereits erwähnt, an der Materialzusammensetzung von Matratzen. Diese wollen wir zu 100 Prozent schaumstofffrei konstruieren, damit sie vollständig recycelt werden können.
Recycling von Textilien des Gesundheitswesens
Textilienabfälle aus Kliniken werden, wie Sie gesagt haben, weniger recycelt. Warum ist deren Recycling so herausfordernd?
Jenny Liebelt: Die Gründe liegen vor allem in dem hohen behördlichen Aufwand, der Frage der Zuständigkeiten und den Möglichkeiten zur Desinfektion oder Dekontamination der Textilien. Gerade letzteres gestaltet sich in Kliniken schwierig, da vielen Einrichtungen schlicht der Platz fehlt, um Produkte vorzubehandeln, bevor sie durch den Entsorger oder auch den Hersteller abgeholt werden. Hier muss geklärt werden, bei wem die Verantwortung für das Recycling liegen sollte bzw. wer die Möglichkeit hat, Textilien als Recyclingrohstoffe in den Kreislauf zurückzugeben. Kliniken sollten mit Herstellern und Entsorgern zusammenarbeiten, um gemeinsam Innovationen zu entwickeln, die das Recycling der Produkte bereits bei der Produktion bedenken.
Wie kann die Lebensdauer der Krankenhaus-Textilien verlängert werden?
Nadine Liebig: Um die Lebensdauer medizinischer Textilien zu verlängern, braucht es zuerst eine detaillierte Analyse zu den Anforderungen, die beispielsweise OP-Tücher oder andere Mehrwegtextilien leisten müssen. Hier kann die RFID-Technologie eingesetzt werden, welche Daten zur Nutzungshäufigkeit oder den Waschzyklen liefern kann. Die Auswertung der Daten zeigt dann beispielsweise,ob das Auftragen einer Beschichtung optimiert werden sollte, um eine höhere Zahl an Waschzyklen zu ermöglichen. Auch die Materialzusammensetzung spielt hier eine große Rolle: So können Textilien beispielsweise aus Monomaterialien – Textilien aus sortenreinen Materialströmen – oder biologisch abbaubaren Fasern wie Polylactidfasern (PLA) als Alternative für Polyethylenterephthalat (PET) hergestellt werden. Diese Materialien würden sich wesentlich besser recyceln lassen als viele der aktuell genutzten Materialien, sind aber, wie in vielen anderen Bereichen, oft eine Kostenfrage.
Zusammenarbeit zwischen Forschung und Gesundheitswesen
Wir haben bereits über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Kliniken, Herstellern und Entsorgern gesprochen, aber auch die Forschung ist hier als vierte Säule unabdingbar. Wie arbeiten Sie mit medizinischen Einrichtungen zusammen, um deren spezifischen Bedürfnisse bei der Entwicklung von Textilien zu verstehen?
Nadine Liebig: Wir besuchen regelmäßig verschiedene Veranstaltungen wie Messen, Tagungen und Workshops, auf denen wir uns mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitswesens austauschen und konkret nachfragen, was sie sich wünschen, was sinnvoll wäre und auch, was nicht gebraucht wird. Zudem haben wir auch verschiedene Forschungsprojekte, in denen wir mit Kliniken zusammenarbeiten. Mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin planen wir gerade ein Forschungsprojekt im Pflegebereich und haben zusätzlich aktuell auch ein Projekt mit dem Kompetenzzentrum Diabetes Karlsburg beantragt.
Welche zukünftigen Projekte plant das Institut im Bereich der medizinischen Textilien?
Jenny Liebelt: Im Fokus steht vor allem die Entwicklung von nachhaltigen und recycelbaren Textilien, die auf die Bedürfnisse der Kliniken ausgerichtet sind. Wir wollen einen wirklichen Mehrwert für die Kliniken und die Umwelt schaffen. Generell möchten wir Textilien entwickeln, die Menschen mit motorischen Funktionseinschränkungen unterstützen, beispielsweise durch neue textile Komponenten für orthopädische Schuhe.
Vielen Dank für das Gespräch!