Interview mit Professor Dr. Jochen A. Werner Die Digitalisierung des Krankenhauses

Professor Dr. Jochen A. Werner treibt das Thema Digitalisierung als ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender in Essen maßgeblich voran (Foto: Universitätsmedizin Essen)
Professor Dr. Jochen A. Werner treibt das Thema Digitalisierung als ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender in Essen maßgeblich voran (Foto: Universitätsmedizin Essen)

Die Medizin durchläuft derzeit den größten Veränderungsprozess aller Zeiten. Elektronische Patientenakte, Digitalisierung, künstliche Intelligenz: Die Transformation der Krankenhäuser ist bereits in vollem Gange. Die Universitätsmedizin Essen fokussiert sich in ihrer Entwicklung auf das Thema Smart Hospital. Doch nicht alle sind soweit: vielerorts ist noch das Faxgerät und die Karteikarte für die Patientenversorgung in Benutzung. Dieser Widerspruch der teils veralteten Krankenhausstruktur einerseits und der rasch voranschreitenden Digitalisierung andererseits muss aufgelöst und als Chance für die Kliniken gesehen werden. Das macht sowohl auf klinischer als auch auf gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Ebene neue Ansätze und ein neues Denken erforderlich. Professor Dr. Jochen Alfred Werner treibt diese Entwicklung als ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender in Essen bereits seit 2015 maßgeblich voran. Zudem macht der renommierte Mediziner als „Medical Influencer“ auf YouTube und mit seinem eigenen Podcast auf die Themen Digitalisierung aufmerksam. Mit Abfallmanager Medizin hat er über digitale Innovation in der Krankenhauslogistik und die Herausforderungen und Möglichkeiten in internen Kommunikationsprozessen gesprochen.

Zur Person: Professor Dr. Jochen Alfred Werner

  • seit 2015 Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen
  • 2011– 2015 Hauptamtlicher Ärztlicher Geschäftsführer der Universitätsklinik Gießen und Marburg (UKGM GmbH) und Sprecher Rhön Klinikum AG
  • 2011 Aufnahme in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften
  • 2004 – 2006 Prodekan der Medizinischen Fakultät Marburg
  • 1998 – 2010 Professor und Direktor der Marburger Universitäts-HNO-Klinik
  • Studium der Humanmedizin und Promotion an der Universität Kiel

Sehr geehrter Professor Werner, die Universitätsmedizin Essen begreift Digitalisierung als einmalige Chance, das Krankenhaus der Zukunft zu gestalten. Welche digitalen Neuerungen können Mitarbeitende und Patientinnen und Patienten konkret erwarten?

Jochen A. Werner: Diese erste Frage möchte ich gern ein wenig ausführlicher beantworten. Seit 2015 ist die Universitätsmedizin Essen auf dem Weg zum Smart Hospital. Wir verstehen darunter eine digital gestützte Steuerungsplattform im Herzen des Gesundheitssystems. Viele denken bei einem digitalisierten Krankenhaus an Robotermedizin oder Virtual Reality-Brillen im OP. Aber letztlich geht es darum, die Digitalisierung dafür einzusetzen, dass es den Menschen bessergeht. Daher bedeutet Smart Hospital nicht nur den Einsatz innovativer Technik bis hin zu künstlicher Intelligenz, sondern vor allem neues Denken und eine neue Ausrichtung der Medizin.

Unsere Patientinnen und Patienten begleiten wir lebenslang mit einem starken Fokus auf die Vorsorge und bieten Ihnen eine kontinuierliche, hochwertige medizinische Unterstützung. Die Rolle des Krankenhauses als vorrangiger „Reparaturbetrieb“ rückt damit deutlich in den Hintergrund. Nicht die Mauern einer Klinik, sondern die Gesundheits- und Krankengeschichte der Patientinnen und Patienten bilden den Rahmen für die medizinische Versorgung. Dies geschieht auf Grundlage einer intensiven Vernetzung mit anderen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten, Therapeuten und den Krankenkassen. Die beste Strategie ist allerdings wertlos ohne konkrete Umsetzung. Daher realisieren wir kontinuierlich eine Fülle parallellaufender Projekte, bei denen auch dem Einsatz künstlicher Intelligenz eine größere Rolle zukommen wird.

Bereits heute wird künstliche Intelligenz in der Diagnostik eingesetzt. Aktuelle konkrete Anwendungen sind etwa die radiologische Bestimmung des Knochenalters, die Vorhersage des Metastasierungsausmaßes, die Diagnostik bestimmter Lungenerkrankungen, eine KI-unterstützte Bewertung des Augenhintergrundes oder der Einsatz von KI zur Erkennung seltener Krankheiten. In unserem auf die Lunge und die Atemwege spezialisierten Standort Ruhrlandklinik wurde kürzlich erstmals eine Bronchoskopie durchgeführt, bei der mittels eines auf künstlicher Intelligenz beruhenden Systems der Weg einer Sonde durch die Lunge optimiert und somit ein unklarer Lungenherd millimetergenau angesteuert wird. Ein weiteres Beispiel ist unsere Klinik für Dermatologie, an der wir Virtual Surgery Intelligence (VSI) mittels einer speziellen Brille einsetzen. Vorab aufgenommene zweidimensionale Schichtaufnahmen lassen sich durch VSI in 3-D-Bilder umrechnen, virtuell über dem Patienten positionieren und freihändig durch Gestik und Sprachsteuerung bedienen. So können chirurgisch zu entfernende Lymphknoten zielgerichtet lokalisiert und entfernt werden. Für alle diese Projekte gilt: Sie sind kein Selbstzweck, sondern haben das Ziel, die Medizin besser und vor allem menschlicher zu machen.

Viele digitale Innovationen spielen sich im Hintergrund ab, sind aber für das Funktionieren des Klinikalltags unverzichtbar. Das betrifft vor allem den Bereich Logistik. Was kann hier alles digital gelöst bzw. unterstützt werden?

Jochen A. Werner: Gerade die Logistik bietet großes Potential für den Einsatz digital gestützter Innovationen und damit für eine deutlich verbesserte Effizienz von Prozessen. Die Steuerung der logistischen Ströme, die Erfassung der Verbrauchsdaten und die Nachverfolgung des Verbleibs der klinischen Güter stellen eine große Herausforderung dar. In Krankenhäusern geht es unter anderem um den Transport von Speisen für Patienten, Apothekengüter, Wertstoffe, Wäsche oder auch Abfall und vieles mehr. Als Beispiel werden am Universitätsklinikum Essen täglich rund sieben Tonnen Frisch- und Schmutzwäsche transportiert. Die Rückverfolgung von Medikamenten und Medizinprodukten nach Chargen und Verfallsdaten entlastet die Pflege von lästigen und zeitraubenden Aufgaben. Die Transportwege werden derzeit über ein digitales Meldesystem organisiert und an die Transporteure weitergeleitet. Die Steuerung von Patientenflüssen und die Vermeidung von Patientenansammlungen wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein. Hier werden auch Apps zum Einsatz kommen, die die Patienten über den Campus navigieren.

Herausforderungen digitaler Prozesse im Krankenhaus

Auf welche Herausforderungen sind Sie bei der Einführung digitaler Prozesse gestoßen? Kann eine absolute Fehlerunanfälligkeit der Systeme ausgeschlossen werden? Hier steht schließlich auch die Sicherheit von Patienten im Mittelpunkt.

Jochen A. Werner: Die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Smart Hospitals ist nicht die Etablierung technischer Systeme, sondern die Akzeptanz und Überzeugung der Menschen. Wir setzen daher sehr stark darauf, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Konzept des Smart Hospitals zu überzeugen und sie im Idealfall zu Botschaftern der Veränderung zu machen.
Technische Systeme arbeiten in der Regel sehr zuverlässig, die größte Fehlerquelle ist der Mensch. Das ist in der Medizin auch nicht anders als in anderen Branchen, wie beispielsweise in der Luftfahrt. Wir sehen ganz deutlich, dass uns die Digitalisierung hilft, interne Arbeitsprozesse auf einem hohen Niveau zu standardisieren und sukzessive zu optimieren. Dies steigert nicht nur die Effizienz und damit die Wirtschaftlichkeit, sondern nutzt explizit gerade dem Schutz der Patienten.

Mittels RFID-basiertem Tracking können Geräte, Betten und selbst Patientinnen und Patienten innerhalb der Klinik geortet werden. Welche Arbeitsschritte können damit konkret für Personal und Patientinnen sowie Patienten erleichtert werden und wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen damit?

Jochen A. Werner: Nicht nur in der klassischen Medizin, auch in organisatorischen Prozessen setzen wir zunehmend auf Algorithmen und künstliche Intelligenz. Ein Beispiel dafür ist unser digital gestütztes Bettenmanagement am Standort St. Josef Krankenhaus im Essener Stadtteil Werden. Auf Basis einer Livedaten-Plattform werden dort in Echtzeit Standort und Status von mit Bluetooth ausgestatteten Betten und medizinischen Geräte identifiziert, mit einer Handlungsempfehlung versehen und den prozessbeteiligten Personen auf dem Smartphone angezeigt. In der Konsequenz können medizinische Geräte wie bei einem Car-Sharing-Konzept deutlich besser ausgenutzt werden. Unsere bisherigen Erfahrungen mit diesem System sind sehr positiv – mittelfristig ist daher geplant, diese Anwendung sukzessive auch in andere Häuser der Universitätsmedizin Essen zu übertragen.

In Essen wurde das „Institut für PatientenErleben“ ins Leben gerufen. Was hat es damit genau auf sich?

Jochen A. Werner: Unser „Institut für PatientenErleben“ spielt bei der begleitenden Humanisierung einer digitalen Medizin eine wichtige Rolle, indem die Erfahrungen und Kompetenzen, aber auch Anregungen und Wünsche unserer Patienten explizit für die Transformation zum Smart Hospital miteinbezogen werden. Das Institut hat die Aufgabe, nicht die „Organisation Krankenhaus“, sondern den Patienten mit seinen Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten wieder verstärkt in den Fokus der Behandlung zu rücken. Es analysiert und optimiert neben der rein medizinischen Leistung viele andere Aspekte eines Klinik-Aufenthaltes. Dazu gehören etwa die Orientierung auf dem Klinikgelände und in den Gebäuden, dem Patientenempfinden angepasste Räumlichkeiten, effiziente Abläufe, akzeptable Wartezeiten, patientenfreundliche Informationen oder beziehungsorientierte Kommunikation mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und weiteren Mitarbeitern im Haus. Auch die Vor- und Nachbereitung eines Patienten-Aufenthaltes gehören zum PatientenErleben, genauso wie eine Anbindung von Selbsthilfegruppen an unser Krankenhaus. Das Institut ist damit nicht Gegenstück, sondern logische Vervollkommnung einer zunehmend digitalisierten Medizin.

Digitalisierung des medizinischen Abfallmanagements

Zur Krankenhauslogistik gehört auch die Entsorgung von Abfällen. Gibt es bereits digitale Systeme, die etwa beim Abtransport von Abfällen in Entsorgungsräume unterstützen?

Jochen A. Werner: Bisher werden diese digitalen Systeme bei uns noch nicht eingesetzt. Durch die Umsetzung einer intelligenten Transportlogistik und den in der Umsetzung befindlichen Aufbau einer vorgeschalteten Lagerfläche wird der anfallende Verpackungsmüll frühzeitig von übrigen Abfällen getrennt und als Wertstoff entsorgt. Wir sehen in der Trennung von Wertstoffströmen und der anschließenden Wiederverwertung von Abfällen noch ein erhebliches ökologisches Potenzial.

Wäre ein System denkbar, das digital überwacht, wann Behälter voll sind und der Entsorgung zugeführt werden müssen? Oder digitale Hilfen, die die korrekte Trennung von Abfällen überwachen oder leichter einzuordnen helfen in Zweifelsfällen?

Jochen A. Werner: Bislang ist noch die regelmäßige Kontrolle der Müllentsorgung in angepassten Rundgängen der zurzeit angewandte Standard. Zukünftig kann digital über die Positionierung der Behälter eine Entsorgung gesteuert werden. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die originäre Aufgabe eines Krankenhauses, zumal einer Universitätsklinik, zunächst einmal darin besteht, mit großem personellen und technischem Ressourcen- und Energieeinsatz Menschen zu helfen. Das war und ist die Kernintention, und Fragen des Umweltschutzes und der Ressourcenschonung haben daher erst mit Verspätung den medizinischen Bereich erreicht.

Zudem muss berücksichtigt werden, dass zum Beispiel Einwegprodukte aufgrund hygienischer Vorschriften häufig nicht durch andere Lösungen ersetzt werden können. Die kritische Betrachtung der Mehrfachnutzung von Einmalprodukten durch eine sterile Wiederaufbereitung liegt im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Patientensicherheit, des Kostendrucks und der defizitären Bedeutung für die Umwelt.

Die positiven Effekte auf die Umwelt durch die Umsetzung des Smart Hospitals stehen noch am Anfang. Diese Effizienzsteigerungen im Rahmen des Smart Hospitals können und sollen auch nicht konventionelle Maßnahmen wie die Dämmung von Gebäuden, Investitionen in moderne Heizungsanlagen und vieles mehr ersetzen. Dennoch eröffnet das Smart Hospital neue Möglichkeiten für eine nachhaltige Medizin. Die Universitätsmedizin Essen hat das Thema identifiziert und wird den ökologischen Aspekten künftig einen nochmals gesteigerten Wert einräumen, auch indem wir eine Klimamanagerin benannt haben. Smart Hospital bedeutet auch Green Hospital.

In diesem Zusammenhang eröffnet ein Blick in die nahe Zukunft weitere ungeahnte Möglichkeiten: Der Einsatz von Scanprogrammen, durch welche Mitarbeitende verschiedener Funktionsbereiche als personalisierter Avatar dargestellt und zur Kommunikation im virtuellen Raum befähigt werden, erspart Patienten neben belastenden Wartezeiten vor allem die CO2-relevante Anfahrt, zudem können Spezialisten auch aus der Entfernung eingebunden werden. Mit diesem Projekt haben wir bereits begonnen, es wird neben Service und mehr Patientensicherheit auch die ökologische Bilanz unserer Arbeit positiv beeinflussen.

Abfallbeauftragte benötigen sehr spezifisches Wissen über Abfallarten und Entsorgungsvorschriften. Die Zeit, um dieses an alle involvierten Mitarbeiter zu vermitteln, ist begrenzt. Welche digitalen Hilfestellungen sind denkbar, um den/die Abfallbeauftragte/n bei seiner /ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen und Fehlabwürfe auf den Stationen zu minimieren?

Jochen A. Werner: Wir schulen die Mitarbeiter des Reinigungsdienstes und die Pflegekräfte regelmäßig und legen großen Wert auf die Einhaltung der vereinbarten Entsorgungsrichtlinien. Durch die durchgehende farbliche Kodierung wird die Trennung der Wertstoffe vom deklarationspflichtigen Sondermüll erleichtert. Wie bereits erwähnt planen wir mittelfristig, bei der Trennung und Behandlung von Abfall unseren Fachkräften digitale Hilfssysteme an die Hand zu geben.

Einsatz künstlicher Intelligenz in der Krankenhauslogistik

Inwiefern kann künstliche Intelligenz (KI) in der Kliniklogistik sinnvoll / gewinnbringend als Ergänzung zur Arbeit des Personals eingesetzt werden?

Jochen A. Werner: In der klinischen Logistik kann die künstliche Intelligenz künftig – ähnlich wie in der Industrie – eine noch weitaus größere Rolle spielen. Hier stehen wir sicherlich noch am Anfang einer dynamischen Entwicklung. So kann beispielsweise durch die Optimierung von Wegen und die Plausibilisierung von Prozessen die Personalstärke an das tatsächliche Geschehen angepasst werden. Auch die Bevorratung von Geräten, Wagen etc. kann mit den tatsächlichen Anforderungen synchronisiert werden. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass künstliche Intelligenz perspektivisch dabei helfen wird, nicht nur die unmittelbare Behandlung, sondern auch die klinischen und logistischen Prozesse zum Wohle der Patienten und Mitarbeiter zu optimieren.

Hatten die Mitarbeiter Ihrer Klinik die Möglichkeit, sich im Vorfeld der Etablierung von digitalen Neuerungen / neuen Systemen zu beteiligen und Praxiswissen einzubringen? Waren sie Teil bei der Entwicklung der Digitalisierungsstrategie?

Jochen A. Werner: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben immer die Möglichkeit, sich in die Etablierung von digitalen Innovationen, aber auch in die Optimierung von alltäglichen Prozessabläufen einzubringen. Nicht nur das: Wir motivieren sie sogar ausdrücklich dazu.
Neben der persönlichen Ansprache, für die ich, aber auch das gesamte Management-Team immer zur Verfügung stehen, existieren dazu auch etablierte Kommunikationskanäle. So trifft sich zum Beispiel regelmäßig unsere Lenkungsgruppe Smart Hospital, um funktions- und hierarchieübergreifend die aktuellen Projekte im Rahmen unserer Digitalisierungsstrategie zu besprechen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Über unseren Kommunikationskanal „Vorstand im Dialog“ können ebenfalls sehr schnell und direkt Vorschläge gemacht oder auch Defizite angesprochen werden.
Die Erfahrung zeigt, dass diese Optionen sehr aktiv wahrgenommen werden. Das halte ich für sehr wichtig, denn ohne Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind derart komplexe Change-Prozesse wie die Überführung einer traditionellen Universitätsklinik in ein digitalisiertes Krankenhaus nicht zu bewerkstelligen.

Herausforderungen der digitalen Krankenhauswirtschaft

Stichwort Change Management: Wie hat die Universitätsmedizin Essen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die neuen Systeme vorbereitet / geschult? Gab es dabei auch Widerstände und Unsicherheiten? Wie sind Sie damit umgegangen?

Jochen A. Werner: Wir schulen konsequent und permanent alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der korrekten Anwendung aller bei uns eingesetzten Systeme, insbesondere natürlich bei neuen technischen Entwicklungen. Eine große Rolle bei allen Schulungsmaßnahmen, auch im Sinne des Umweltschutzes, spielten unsere monatlichen Einführungstage für alle neuen Beschäftigten aller Berufssparten. Diese Einführungstage dienen nicht nur dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Bilden von oft langjährigen Netzwerken, sondern natürlich auch der Schulung und dem Auseinandersetzen mit digitalen Themen. Sie sind eine hervorragende Plattform, um alle neuen Beschäftigten mit der Philosophie des Smart Hospitals und der Bedeutung für einen angewandten Ressourcenschutz vertraut zu machen. Leider hat Corona dieses persönliche Miteinander unterbrochen, ein Umstand, den wir aktuell unter anderem mittels Videoclips überbrücken.

Die Krankenhausstudie 2017 der Unternehmensberatung Roland Berger hat ergeben, dass 64 Prozent der Krankenhäuser schon einmal Opfer eines Hackerangriffs geworden sind. Wie sicher sind digitale Krankenhaussysteme vor Angriffen von außen heute?

Jochen A. Werner: Die Universitätsmedizin unternimmt mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der verfügbaren Technik alle Anstrengungen, um ihre digitalen Informationssysteme vor Angriffen von außen zu schützen. Universitätskliniken sind stärker gefährdet als kleinere Krankenhäuser, da sie sowohl mit mehr medialer Aufmerksamkeit als auch mit besserer finanzieller Ausstattung attraktive Ziele darstellen. Hinzu kommt, dass in Großunternehmen die Fluktuation der Mitarbeitenden Cyberangriffe begünstigen können.Der Zugriff von außen ist nur möglich, wenn die Schutzmechanismen (z. B. Firewall) mit großer krimineller Energie umgangen werden. Auch im Anschluss daran ist der Zugriff auf die Daten durch die Verknüpfung von Username und Passwort gegen Zugriffe geschützt. Ein sogenannter Audit Trail würde den unberechtigten Zugriff zudem protokollieren. Bei allen Vorkehrungen muss dennoch gesagt werden, dass es – wie bei allen anderen Unternehmen auch – hundertprozentige Sicherheit gegen Cyberangriffe nicht geben kann. Die größte Unsicherheit stellen weniger die technischen Systeme als vielmehr die Beschäftigten dar, die etwa durch fingierte Mails getäuscht werden. Wir informieren daher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßig und anlassbezogen über das richtige Verhalten. Das Thema der Cyberkriminalität ist und bleibt eine enorme Herausforderung für alle Unternehmen.

Dänemark gilt als Vorreiter der digitalisierten Krankenhauswirtschaft. Direkt in die Wände integrierte, robotergesteuerte Lagerflächen sind dort bereits Realität. Ist so etwas in naher Zukunft auch in deutschen Kliniken denkbar? Welche Voraussetzungen müssen dafür noch geschaffen werden?

Jochen A. Werner: Dänemark ist in vielerlei Hinsicht Vorbild, auch und gerade in Bezug auf eine moderne und zukunftsfähige digitale Krankenhausstruktur. Daher existieren dort große, zentrale und hochmoderne Klinikgebäude mit entsprechenden Logistikflächen. Robotergesteuerte Lagerflächen und weitere digitalisierte Anwendungen sind natürlich auch in Deutschland technisch prinzipiell kein Problem. Man muss allerdings berücksichtigen, dass viele Kliniken in Deutschland zwischen den 60er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut wurden. Es fehlt also häufig an der Infrastruktur für digitale Innovationen, an der notwendigen Lagerfläche und natürlich auch an der Finanzkraft, denn angesichts der finanziellen Schieflage zahlreicher Kliniken müssen sich Investitionen in die Logistik schnell amortisieren.
Viele Krankenhäuser setzen daher zunächst auf betriebliche Nachhaltigkeitskonzepte, vor allem mit den Schwerpunkten Energie- und Wasserverbrauch sowie Abfallreduzierung. Ich halte dies für richtig, führen diese Maßnahmen doch sehr unmittelbar zu einer verbesserten Energiebilanz, zu einer messbaren Entlastung der Umwelt und damit auch zu verringerten Kosten. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass bei allen Krankenhausneu- und umbauten das Thema der digitalen Logistik künftig eine weitaus größere Bedeutung erlangen wird, und letztendlich auch muss.

Vielen Dank für das Gespräch.

Quellen

Professor Dr. Jochen A. Werner treibt das Thema Digitalisierung als ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender in Essen maßgeblich voran (Foto: Universitätsmedizin Essen)
Professor Dr. Jochen A. Werner treibt das Thema Digitalisierung als ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender in Essen maßgeblich voran (Foto: Universitätsmedizin Essen)