Damit ein Patient während seiner Genesung bestmöglich versorgt wird, ist ausgewogenes und gesundes Essen notwendig. Während sich die Patienten vorzugsweise Gedanken über die Menüauswahl machen, laufen im Hintergrund riesige logistische Prozesse und viele grundsätzliche Überlegungen, die für eine optimale Versorgung in Betracht gezogen werden müssen und an der zahlreiche Abteilungen eines Klinikums beteiligt sind.
Komplexes Wissen über die Grundlagen der Speisenplanung, der Bedarfsermittlung, der Warenbeschaffung und Lagerhaltung ist gefragt. Hinzu kommt eine Vielzahl verschiedener Verpflegungssysteme. Die Ansätze reichen von frisch zubereiteten Speisen bis hin zur verzehrfertig angelieferten Tiefkühlkost. Je nach räumlichen Gegebenheiten des Krankenhauses bieten sich für unterschiedliche Systeme an, die je nach Ort der Mahlzeitenzubereitung und Verarbeitungsgrad der verwendeten Lebensmittel definiert sind.
Doch egal ob fertig gelieferte Tellergerichte, Frischküche oder ein Angebot in Form eines Buffets: Nicht nur über die Qualität des Essens muss sich ein Klinikum Gedanken machen, sondern auch über die Abfälle, die daraus resultieren. So sollten Konzepte zur Abfallvermeidung bei der Speisenversorgung noch vor dem Verwerten, Vernichten oder Entsorgen stehen. Abfälle entstehen zum einen durch sogenannte To-go-Produkte im Kantinenbereich, aber auch durch eine Vielzahl von Speiseresten oder zu viel gekochten Essen, die im Abfall landen. Akutkrankenhäuser werfen pro Tag und Patient mit stationärem Aufenthalt im Durchschnitt 700 g Nahrungsmittel weg.
Daran stört sich auch Tobias Schuchhardt der Klinik Fallingbostel. In der Rehaklinik werden täglich 1.000 Portionen Essen ausgegeben. Damit davon möglichst wenig im sogenannten „Schweineeimer“ landet, hat er sich zum Klimamanager des Projektes KLIK green ausbilden lassen. Sein Haus nimmt außerdem an der Aktion „Zu gut für die Tonne“ teil und vereint so Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Wir haben den Verwaltungsleiter und stellvertretenden Geschäftsführer vor Ort besucht und mit ihm über die Speisenversorgung in der Rehaklinik Fallingbostel gesprochen.
Zur Person: Tobias Schuchardt
- 2019 Qualifizierung zum Klimamanager im Rahmen des Projekts „KLIK green“
- seit 2015 Verwaltungsleiter und Stv. Geschäftsführer in der Klinik Fallingbostel
- Studium Betriebswirtschaft
- Ausbildung zum Sozialversicherungsfachangestellten
Herr Schuchardt, der erste Schritt zu einer Veränderung ist die Bestandsaufnahme. Hierzu gehören Auflistungen der jeweiligen Materialströme, des Energieverbrauchs, der Entsorgungsformen sowie der Organisationsstrukturen. Was ist Ihnen in Fallingbostel bezüglich der Speisenversorgung aufgefallen und wo ergab sich Handlungsbedarf?
Tobias Schuchardt: Die Bestandsaufnahme war Teil eines wiederkehrenden Konsolidierungsprogramms. Im Rahmen einer Prozessbegleitung unseres Lieferanten verfolgten wir das Ziel im Wirtschaftsbereich, die Themen Nachhaltigkeit und Kostenminimierung ohne Einschränkung der Versorgungs-und Essensqualität zu vereinbaren. Die hohe Patientenzufriedenheit bei der Essensqualität war dabei zwingend zu halten. Im Zuge dieser Prozessbegleitung wurde die komplette Kette von der Bestellung, Anlieferung, Lagerung, Zubereitung, Essensausgabe und Entsorgung überprüft. Diverse Maßnahmen, wie zum Beispiel die Optimierung des Warenwirtschaftssystems, die Reduzierung der Lagerbestände oder auch die Zusammenlegung der Lager, wurden hierbei abgeleitet und umgesetzt.
Besonders erfolgreich ist beim Thema Abfälle die Umsetzung der Kampagne „Zu gut für die Tonne!“. Hier haben wir der Lebensmittelverschwendung aktiv den Kampf angesagt. Die Patienten nehmen bereits bei der Einführung in den Speisesaal an Ernährungs- und Einführungsvorträgen teil und werden hierbei über die Kampagne informiert und sensibilisiert. Hier geben wir folgende drei Hinweise: „Satt werden.“, „Lieber einmal mehr zum Buffet gehen.“ und „Nur leere Teller zurückzustellen.“. Durch die Vielzahl der Maßnahmen konnte der Abfall in der sogenannten „Schweinetonne“ um ca. ein Drittel reduziert werden.
Zur Info: Zu gut für die Tonne!
- Die Initiative des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft „Zu gut für die Tonne!“ unterstützt dabei, Lebensmittelabfälle zu reduzieren.
- Akteure aus Industrie, Handel, Gastronomie und Landwirtschaft sowie Verbraucherverbänden, Kirchen und NGOs unterstützen die Initiative.
- Verbraucher sowie Verantwortliche entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette sollen für einen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln sensibilisiert werden.
- Ziel ist es, die Verschwendung von Nahrungsmitteln deutlich zu minimieren.
Der Abfallvermeidung zugute kommt die individuelle Essensbestellung. Durch eine gezielte Abfrage der Wünsche jedes einzelnen Patienten reduzieren sich die Reste erheblich. Der Aufwand ist allerdings sehr hoch. Funktioniert bei Ihnen dieses System reibungslos?
Tobias Schuchardt: Sofern die Patientinnen und Patienten auf dem Zimmer essen, erfolgt diese Art der differenzierten Essensbestellung. Es wird dabei konkret abgefragt, was sich Patientinnen und Patienten wünschen. Aktuell prüfen wir noch die Einführung eines Bestellsystems, um dadurch die Essensmengen noch gezielter und punktgenauer zu produzieren.
Wie wird die Anzahl der benötigten Mahlzeiten auf der Station tatsächlich festgestellt? Und wie wird die zuzubereitende Menge vorhergesagt, das heißt, wie stellen die Mitarbeiter fest, wie viel Essen zubereitet werden muss?
Tobias Schuchardt: Die Anzahl der Mahlzeiten auf den Zimmern kann über das Klinikinformationsystem vom Küchenleiter ermittelt werden. Im Speisesaal greifen wir auf langjährige Erfahrungswerte zurück, da wir wiederkehrende Speisepläne im Sommer und im Winter haben und die Personenzahl – also die mitessenden Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitenden – genau kennen.
Ihre Klinik betreibt eine Lehrküche und hat einen ausgewiesenen Schwerpunkt auf Ernährung. Die Lebensmittelbeschaffung ist ein wichtiger Aspekt. Achten Sie beim Einkauf bereits auf regionale Produkte?
Tobias Schuchardt: Wir sind seit 1975 ein Familienbetrieb und beschäftigen überwiegend Mitarbeitende aus der Region. Wir achten darauf, dass wir möglichst alles eigenständig erledigen, das bedeutet, wir haben bis auf die Dienstkleidung keinen Bereich ausgegliedert. Wir reinigen, waschen und kochen noch komplett selbst, um auch aktiv Einfluss auf die Patientenzufriedenheit nehmen zu können. Regionale Produkte, wie Backwaren, Obst und Gemüse, sind uns dabei sehr wichtig. Die richtige Ernährung hat Auswirkungen auf die Gesundheit. Unsere Speisen weisen einen hohen Gesundheitswert auf und sind trotzdem oder gerade deshalb schmackhaft.
Ein Diskussionspunkt sind häufig auch die sogenannten To-go-Verpackungen. Wie gehen Sie mit dieser Thematik in Ihrem Klinikum um?
Tobias Schuchardt: Unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit sind To-Go-Verpackungen keine Option mehr für uns. Sobald der Restbestand aufgebraucht ist, setzten wir keine mehr ein. Kaffee und Tee werden zukünftig nur noch in Tassen oder Bechern ausgegeben.
Gab es bereits Überlegungen zu einer Reduzierung der Versorgung mit tierischen Lebensmitteln?
Tobias Schuchardt: Ja, und dies wird bereits seit Jahren auch erfolgreich umgesetzt. Zu den Hauptmahlzeiten haben wir drei Gerichte zur Wahl und eines ist grundsätzlich vegetarisch, beziehungsweise vegan. Wir sehen ernährungstherapeutische Ansätze als einen wichtigen Teil der Behandlung an. Häufig können durch eine gesunde und ausgewogene Ernährung sogar Medikamente reduziert oder vollkommen abgesetzt werden.
Oft scheitern die Abfall-Spar-Ansätze an den Hygiene-Standards: Es gäbe doch eine enorme Abfallersparnis, wenn bspw. Marmelade im kompostierbaren Schälchen serviert werden würde oder die Butter portioniert im Glas zum Patienten käme, statt in Alufolie. Wieso ist das so problematisch?
Tobias Schuchardt: Im Hotel oder anderen Einrichtungen stellt dies sicherlich eine interessante Alternative dar. Allerdings steht bei solchen Überlegungen auch immer die Patientensicherheit im Fokus. Bei Aufnahme von Nahrungsmitteln, die mit gefährlichen Bakterien oder Pilzen kontaminiert sind, drohen Durchfallerkrankungen oder Infektionen innerer Organe. Aus diesem Grund sind bestimmte Verhaltensmaßregeln bei der Auswahl und Zubereitung der Speisen zu berücksichtigen. Als Rehabilitationseinrichtung mit Schwerpunkt Kardiologie versorgen wir unter anderem Patientinnen und Patienten mit Herzunterstützungssystemen oder vor und nach einer Herztransplantation. Insbesondere bei diesen Patientengruppen ist es sehr wichtig, auf keimarme und keimfreie Ernährung zu achten.
Gab es während der Corona-Pandemie besondere Aspekte, die beachtet werden mussten oder fand die Speisenversorgung wie gewohnt statt?
Tobias Schuchardt: In der Corona-Zeit haben wir zur Entzerrung und Abstandseinhaltung im Speisesaal zwei Verpflegungsgruppen eingeführt – es gibt also unterschiedliche Essenszeiten für die unterschiedlichen Etagen. Zusätzlich übernehmen die Mitarbeitende des Wirtschaftsbereiches die Essensausgabe am Buffet.
Zur Info: KLIK green
- 250 Krankenhäuser und Reha-Einrichtungen erhalten die Möglichkeit, sich aktiv für den Klimaschutz zu engagieren.
- Beschäftigte werden zu Klimamanagern qualifiziert, um konkrete Klimaschutzziele für die Einrichtungen festzulegen, Maßnahmen zu planen und umzusetzen.
- Neben energetischen Maßnahmen umfasst das Spektrum auch Bereiche wie Beschaffung, IT, Mobilität, Speisenversorgung oder den Verbrauch von Produkten.
- Unterstützt und gefördert wird das Projekt durch die Nationale Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums.
Sie haben sich zum Klimamanager im Rahmen des KLIK green Projekts ausbilden lassen. Was hat Ihre Klinik noch für Maßnahmen ergriffen, um Ressourcen zu schonen?
Tobias Schuchardt: Weitere Maßnahmen stammen insbesondere aus den Bereichen Energie, Logistik und Beschaffung. So haben wir eine Optimierung der Auslastung des Blockheizkraftwerks vorgenommen. Zudem wird die Anschaffung einer Photovoltaik-Anlage geprüft. Wir nehmen an der Aktion „JobRad“ (Dienstradleasing) teil und haben das Beschaffungsmanagement zentralisiert, um so einen besseren Überblick zu wahren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Quellen
- rehakliniken.de: Frisch, regional und bio: Dr. Becker Klinikgruppe stellt Speisenversorgung um
- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Zu gut für die Tonne!
- Weser Kurier: Bremer Krankenhäuser. Jede Menge Bio auf dem Speiseplan
- Fachausschuss KVD im VKD: Der Koch im Krankenhaus
- GreenHealthcare, EPA: Praxisleitfaden. Vermeidung von Lebensmittelabfällen
- Bibliomed Pflege: Patientenspeisen. Gefährliches Resteessen
- Der Standard: Krankenhäuser werfen fast ein Drittel der Lebensmittel weg
- ÄrzteZeitung: Ernährungsexperten kritisieren. Krankenhausessen lässt oft zu wünschen übrig
- KLIK green: Krankenhaus trifft Klimaschutz
- delegate: Lebensmittelabfälle in Krankenhäusern und Pflegeheimen