Krankenhäuser sind laut Erhebungen aus dem Jahr 2014 mit 4,8 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr der fünftgrößte Müllproduzent in Deutschland. Die fachgerechte Entsorgung von medizinischem Abfall hat deshalb in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. Denn Ressourcenschonung und Klimaschutz sind Themen, die auch an Krankenhäuser herangetragen werden. Abfallmanager Medizin hat mit dem Umweltbundesamt über das derzeitige Abfallaufkommen und mögliche Einsparpotenziale gesprochen.
Zur Person: Markus Gleis
- seit Juni 1986 im Bereich thermische Abfallbehandlung im Umweltbundesamt im Fachgebiet „Abfalltechnik, Abfalltechniktransfer“ tätig
- Schwerpunkte der Tätigkeit: Rechtliche Regelungen und technische Entwicklung im Umfeld der thermischen Abfallbehandlung und der Krankenhausabfallentsorgung
- Nationaler Experte und Leiter der nationalen Arbeitsgruppe zur Revision des BVT-Merkblattes „Abfallverbrennung“
- Mitglied der Ad-hoc Arbeitsgruppe des Abfalltechnikausschusses der Länder zu der redaktionellen Überarbeitung der Vollzugshilfe 18
Herr Gleis, Krankenhäuser sind unglaubliche Abfallproduzenten. Wo fallen die meisten Abfallmengen an?
Markus Gleis: Bis zu dem Zeitpunkt der Umstellung der Abfallstatistik weg von der Erfassung der einzelnen Krankenhäuser vor mehr als zehn Jahren, war zu erkennen, dass Krankenhäuser der Vollversorgung und die Universitätskliniken die meisten auf den Patientinnen und Patienten bezogenen Abfälle erzeugen, da dort mit Intensivstationen, der Infektionsstationen und der Laborbereiche, die Versorgungserrichtungen vorgehalten werden, die auch die meisten Einwegsysteme benötigen. Ein extremes Beispiel war die Behandlung der Ebolapatientinnen und -patienten in Hamburg und Leipzig, die in Leipzig sogar zeitweise zu einem Entsorgungsnotstand führt.
Einsparpotenzial im medizinischen Abfallmanagement
Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Einsparpotentiale beim Abfallaufkommen in den Krankenhäusern?
Markus Gleis: Ein grundsätzlicher konzeptioneller Ansatz ist eine enge Zusammenarbeit mit der Hygiene, um den Einsatz von Einwegmaterialien und deren Entsorgung auf das notwendige Mindestmaß zu reduzieren. Hier liegt aber inzwischen auch die Schwäche des Systems, da in den letzten Jahren die Qualität und die personelle Ausstattung in der Hygiene zurückgefahren wurde.
Es gibt bereits viele Ansätze, Abfälle einzusparen. Angefangen in der Kantine beim Porzellan statt To-Go Kaffeebecher bis hin zu wiederverwendbaren OP-Besteck. Warum scheitert es vielerorts bei der Umsetzung?
Markus Gleis: Mit einem Blick aus 35 Jahren Erfahrung zu diesem Thema werden jetzt wieder Entwicklungen zurückgedreht, die aus Mangel an Personal eingeführt wurden. Der Mehrwegbereich kann nur dort funktionieren, wo ausreichend Personal zur Verfügung steht. Wiederverwendbares OP-Besteck oder ähnliche Ansätze im Bereich der Patientenversorgung sind nach meiner Ansicht nur über externe Dienstleister möglich. Ich gehe nicht davon aus, dass die Krankenhäuser unter den vorgegebenen Personalmitteln wieder eigene Sterilisationen aufbauen.
Wir hören von den Abfallbeauftragten häufig: Zeit ist Geld. Deshalb werden nach Operationen häufig sämtliche Abfälle pauschal als gefährliche Abfälle entsorgt. Alternativ könnte kleinteilig sortiert und entsorgt werden, aber dafür fehlt dem Personal die Zeit. Wie wirkt man dem entgegen?
Markus Gleis: In der augenblicklichen Personalsituation sehe ich kaum Möglichkeiten diese Entwicklung rückgängig zu machen, da hier auf einen massiven Kostendruck von außen reagiert wird. Auch bei früheren Projekten haben die Krankenkassen nach eigener Aussage keine Möglichkeiten gesehen, den höheren Kostensatz einer umweltfreundlicheren Entsorgung zu übernehmen.
Also ist Nachhaltigkeit in Kliniken zu teuer und zu aufwendig? Immerhin ist Einmal-OP-Besteck günstiger als die Variante der Sterilisation?
Markus Gleis: Einmal OP-Besteck ist sicher und gilt als eine erprobte Massenanwendung. Hierbei bestimmt die hohe Stückzahl den günstigen Preis. Es gab den Ansatz einzelner Dienstleister, für die jeweilige Art der OP spezifische Mehrwegsets anzubieten, was aber vermutlich an dem hohen logistischen Aufwand gescheitert ist.
Es gibt mittlerweile viele Initiativen wie z.B. Green Hospital, das Projekt Klimaretter – Lebensretter oder auch diverse Ökozertifikate. Es wirken bereits viele Krankenhäuser aktiv mit. Wie können alle Kliniken ins Boot geholt werden, das zukünftig die Abfallmengen reduziert werden?
Markus Gleis: Die genannten Initiativen haben Energie und Klima im Focus und weniger das Thema Abfall. Letztendlich fehlen Persönlichkeiten wie Prof. Daschner oder Prof. Rüden, um für das Thema Abfall wieder mehr Beachtung zu bekommen. Beide waren Kooperationspartner in unterschiedlichen Fachgruppen unter anderem des Robert-Koch-Instituts und bei Projekten zur Krankenhaushygiene und der Krankenhausabfallentsorgung.
Die elektronische Patientenakte kommt, die Digitalisierung ist auf dem Vormarsch. Sehen Sie hier Chancen für das Themenfeld Abfallreduzierung?
Markus Gleis: Zumindest bei den neuen bildgebenden Verfahren ist eine Abfallreduzierung deutlich erkennbar, da der Einsatz von Fotochemikalien und die sachgerechte Entsorgung von Röntgenfilmen für die meisten Krankenhäuser nun zur Vergangenheit gehört.
Internationale Beispiele für nachhaltiges Abfallmanagement
Kennen Sie Beispiele aus anderen Ländern, wo Krankenhausabfälle durch gezielte Maßnahmen reduziert werden konnten und sind solche Modelle auf deutsche Kliniken übertragbar?
Markus Gleis: Das Konzept „Pharmafilter“ wird in den Niederlanden eingesetzt, wobei dies in erster Linie eine Änderung im Umgang mit bestimmten Patientenabfällen, wie Fäkalien bedeutet. Dieses Projekt wird dort insbesondere vom Pflegepersonal positiv beurteilt. Hierbei wird ein neues System der Entsorgung von Krankenhäusern erprobt, bei dem ein Teil der Abfallströme (Abfälle aus der direkten Patientenpflege) mit dem Abwasserbehandlungsbereich kombiniert werden und in einer eigenen Aufbereitung die festen und flüssigen Phasen getrennt werden. Allerdings ist eine Umsetzung dieser Konzeption nur im Rahmen eines Neubaus möglich.
Sicherheitsproblematik von entsorgten Arzneimitteln
Die Freisetzung von Arzneimitteln in die Umwelt ist ebenfalls ein großes Problemfeld. Spielen hier die Krankenhäuser eine wesentliche Rolle oder sind eher Privathaushalte problematisch?
Markus Gleis: Die Krankenhäuser sind mit Sicherheit nicht die einzige Quelle für Arzneimittel in der Umwelt, aber sie stellen eine konzentrierte Quelle dar, die auch Möglichkeiten zur Rückhaltung bietet. Es sehr spezifisches Thema sind dabei die Röntgenkontrastmittel. Hier spielt auch das Konzept „Pharmafilter“ eine Rolle, wird aber mittelfristig nicht die Notwendigkeit einer vierten Reinigungsstufe in den Kläranlagen ersetzen.
Vielen Dank für das Gespräch.