Interview mit der Bundeswehr Wie wird medizinisches Abfallmanagement im Krisengebiet organisiert?

Vogelperspektive Rettungszentrum Bundeswehr (Foto: Bundeswehr/Jan Pissarek)
Mobile Rettungszentren der Bundeswehr gewährleisten eine erste medizinische Versorgung verwundeter Soldatinnen und Soldaten und sind mit zwei Operationssälen die erste chirurgische Einrichtung in der Rettungskette. (Foto: Bundeswehr/Jan Pissarek)

Errichtet die Bundeswehr in Krisengebieten innerhalb kürzester Zeit mobile Rettungszentren, spielen vor allem infrastrukturelle Voraussetzungen vor Ort eine wichtige Rolle – darunter fallen beispielsweise die Verfügbarkeit von Wasser und Strom, Verkehrswege oder auch sichere Optionen für die Abfallentsorgung von (potenziell) gefährlichen, medizinischen Abfällen. Wie die Bundeswehr diese Aufgaben logistisch löst und welche Konzepte hierfür notwendig sind, erfuhr die Redaktion von Abfallmanager Medizin im Gespräch mit den Verantwortlichen.

In Krisengebieten versorgt die Bundeswehr Verwundete in ihren sogenannten Rettungszentren. Wie sind diese mobilen Krankenhäuser aufgebaut?

Die Größe einer Sanitätseinrichtung wird an den politischen Auftrag aus dem Bundestagsmandat, der Anzahl der eigenen Kräfte im Einsatzgebiet sowie die Möglichkeit angepasst, verletzte Soldatinnen und Soldaten in Sanitätseinrichtungen unserer Bündnispartner bzw. -organisationen wie den Vereinten Nationen (UN), der NATO oder Europäischen Union (EU) oder auch des Gastlandes zu versorgen.

In einem Rettungszentrum können z. B. folgende Bereiche vertreten sein:

  • Räumlichkeiten für Operationen,
  • Intensivmedizin,
  • radiologische Diagnostik (Röntgen),
  • innere Medizin,
  • Zahnmedizin/Oralchirurgie,
  • Psychiatrie/klinische Psychologie,
  • Labor,
  • Apotheke und
  • Pflegekapazitäten.

Organisatorische Infrastrukturen im mobilen Rettungszentrum

In welchen Ländern sind aktuell mobile Rettungszentren der Bundeswehr im Einsatz und wie lange bestehen diese Kliniken in der Regel vor Ort?

Aktuell sind keine mobilen Rettungszentren in einem Auslandseinsatz der Bundeswehr aufgebaut. Von März bis Mai 2023 war aber ein mobiles Rettungszentrum im Rahmen der humanitären Hilfeleistung nach dem Erdbeben in der Türkei in Altınözüeingesetzt. Jeder Einsatz von Soldatinnen und Soldaten bedarf der Zustimmung des Deutschen Bundestages, somit auch die Stationierung von Behandlungseinrichtungen im Einsatz mittels Mandatierung – daran bemisst sich dann auch die jeweiligeEinsatzdauer.

Welche Infrastrukturen braucht es vor Ort, um die reibungslose Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen?

Grundsätzlich wird eine ausreichend große, ebene Fläche benötigt. Zudem brauchen wir Zugang zur Wasser- und Stromversorgung, Verkehrswege zum An- und Abtransport von Patientinnen und Patienten, Stellflächen für Material und Fahrzeuge, Kapazitäten für die Instandsetzung der Sanitätseinrichtung, einen Sprachendienst, Kontakte zu regionalen Behörden und medizinischen Einrichtungen. Essenziell ist auch die Anbindung an einen Flughafen oder Hafen, um Patientinnen und Patienten zurück nach Deutschland transportieren zu können. Und natürlich braucht es auch Unterkünfte und Verpflegung für das militärische Personal.

Eine entscheide Rolle für die Versorgung von Verwundeten spielt auch die Beschaffung notwendiger Materialien und Medikamente. Wie stellen Sie sicher, dass die Versorgung hier dauerhaft gewährleistet ist?

Im Rahmen der Verlegung modularer Sanitätseinrichtungen planen wir entsprechende Mengen der benötigten Versorgungsgüter ein, um die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten gewährleisten zu können, bis die notwendigen Versorgungsinfrastrukturen aufgebaut und gesichert sind. Die Folgeversorgung der Sanitätseinrichtungen in Auslandseinsätzen wird innerhalb der Bundeswehr sichergestellt.

 

Medizinisches Abfallmanagement bei Bundeswehreinsätzen

In Krisen- und Kriegsgebieten ist die Infrastruktur der betroffenen Regionen zum größten Teil zerstört. Wie gewährleisten Sie die Sicherstellung eines reibungslos funktionierenden und sicheren Abfallmanagements?

Bereits im Rahmen der Einsatzvorbereitung beginnt die Planung der Entsorgung. Dabei sind der militärische Auftrag, der Umfang, die Einsatzdauer und die Personalstärke maßgebliche Einflussgrößen. Hinzu kommen Erkundungsergebnisse über z. B. im Einsatzland nutzbare Entsorgungsinfrastrukturen. Anhand von Kennzahlen können entsprechende Prognosen über das Abfallaufkommen getroffen werden und damit eine Einschätzung, welches Material und welche infrastrukturellen Einrichtungen voraussichtlich benötigt werden. Diese Verfahrensschritte münden in ein vorläufiges Abfallkonzept, welches Bestandteil der Befehlsgebung bei Einsatzvorbereitung ist. Ebenfalls wird zu diesem Zeitpunkt das benötigte Fachpersonal, in der Regel Umweltingenieure und Fachkräfte für Kreislauf-/Abfallwirtschaft, bestimmt und eingeplant.

Wird die Entsorgung der Abfälle vor Ort realisiert oder werden die Abfälle nach Deutschland gebracht? Welche Entsorgungskonzepte gibt es dafür?

Die Entsorgungskonzepte sind auf den jeweiligen Einsatz speziell zugeschnitten und werden regelmäßig fortgeschrieben. Im Wesentlichen bestehen diese Konzepte aus Informationen über Verantwortlichkeiten, Sammelsysteme, Mitwirkungs- und Trennpflichten, Lagepläne für Entsorgungseinrichtungen und dem Abfall-ABC, das die Entsorgungsmöglichkeiten der anfallenden Abfälle alphabetisch geordnet beschreibt. Für die Entsorgung vor Ort wurden bisher verschiedene Möglichkeiten der Bedarfsdeckung genutzt: Hier sind im Wesentlichen die Unterstützung des Einsatzlandes, die multinationale Unterstützung durch Streitkräfte anderer Nationen oder Kooperationen mit naheliegenden medizinischen Einrichtungen (z. B. örtliche Kliniken) zu nennen. Hinzu kommen private Dienstleister, die infektiöse Abfälle vor Ort entsorgen, sofern diese über geeignete, den örtlichen Vorschriften entsprechende Entsorgungsanlagen verfügen. Insbesondere internationale Dienstleister bieten ihre Leistungen auch in Kriegs- bzw. Krisenszenarien an.

Auch infektiöse Abfälle haben wir bisher – sofern dies möglich war und es entsprechende Entsorgungsanlagen gab – vor Ort oder in bundeswehreigenen Verbrennungsanlagen entsorgt, wie z. B. während der Einsätze in Afghanistan und im Kosovo. Eine Rückführung infektiöser Abfälle in die Bundesrepublik Deutschland oder in Drittstaaten findet allerdings nicht statt; neben rechtlichen Hinderungsgründen besteht hier ein hohes Risiko von Infektionen, Umweltschäden und damit zusammenhängenden Haftungsansprüchen. Anders verhält es sich aber bei Altmedikamenten oder Laborchemikalien aus dem medizinischen Bereich. Für solche Fälle werden spezialisierte Unternehmen beauftragt, die diese Abfälle in Übereinstimmung mit den geltenden internationalen Vorschriften nach Deutschland transportieren und in zertifizierten Entsorgungsanlagen entsorgen. Im Rahmen der Rückverlegung eines Kontingentes kann in eingeschränktem Maß auch die Rückführung nicht mehr benötigter gebrauchsfähiger Materialien und Verbrauchsmittel durch die Truppe selbst erfolgen.

Mit welchen Problemen bei der Entsorgung medizinischer Abfälle in Krisengebieten werden Sie regelmäßig konfrontiert?

Die Beschaffung von geeigneten Behältern (z. B. Spritzenabwurfbehälter), Transportmitteln und anderen Ressourcen für die Entsorgung medizinischer Abfälle stellt in Krisengebieten eine logistische Herausforderung dar. Eine sichere Aufbewahrung infektiöser Abfälle ist regelmäßig nur mit einer energieintensiven Kühlung möglich. Auch die Suche nach Alternativen bei Ausfall von Dienstleistern oder der Eigenverbrennung gestaltet sich schwierig, da es im Einsatzgebiet oftmals an angemessener Infrastruktur für die Entsorgung medizinischer Abfälle fehlt. Zudem ist es schwierig, vertraglich zugesicherte Leistungen durch den Dienstleister umsetzen zu lassen, wenn sich die Sicherheitslage in einem Gebiet verschärft.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Regierungen, Hilfsorganisationen etc. vor Ort in der Beschaffung und Entsorgung? Welche Herausforderungen gibt es hier?

Die Bundeswehr hat bei ihren Einsätzen sicherzustellen, dass die Entsorgung gemäß den lokalen und zum Teil auch internationalen Vorgaben erfolgt. Dies erfordert eine enge Abstimmung mit den jeweiligen Regierungen, Behörden und multinationalen Partnern – möglichst schon im Vorfeld eines Einsatzes. Die hierzu angefertigten diplomatischen Dokumente, wie das Technical Agreement oder das Memorandum of Understanding, enthalten regelmäßig auch Vorgaben zur Abfallwirtschaft. Konkrete Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen im Bereich Abfallmanagement gibt es bis zum heutigen Stand allerdings nicht.

Die Beschaffung von Materialien, Medikamenten und anderen benötigten Produkten wird im Einsatzland in der Regel in alleiniger nationaler Verantwortung durch die Bundeswehr durchgeführt. Bei der Auswahl der Beschaffungsverfahren sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und der Vergabeverordnung einzuhalten. Auch die Nachhaltigkeit eines Produktes oder Anbieters wird unter Berücksichtigung der Lebenszykluskosten, Abfallvermeidungspflicht, des Umweltschutzes sowie sozialer oder wirtschaftspolitischer Erwägungen bei einer Auswahlentscheidung mit einbezogen.

Schutzmaßnahmen im medizinischen Abfallmanagement

Welche Schutzmaßnahmen gibt es für Patientinnen und Patienten sowie für Angehörige der Bundeswehr im Umgang mit gefährlichen Abfällen?

Auch im Einsatz unterliegen Arbeits- und Patientenschutz den Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes und der Betriebsstättenverordnung, insbesondere beim Umgang mit gefährlichen und infektiösen Abfällen. Zusätzlich müssen – abhängig vom Mandat – gesetzliche Vorgaben der HOST-Nation sowie ggf. vorliegende Bestimmungen regionaler Behörden an den Einsatzorten oder im Einsatzraum beachtet werden. Dazu gehören die persönliche Schutzausrüstung (z. B. Handschuhe, Schutzbrille oder Atemmaske), regelmäßige Unterweisungen und eine besonders sorgfältige Trennung sowie Kennzeichnung der gefährlichen Abfälle. Diese Schutzmaßnahmen sind entscheidend, um das Risiko von Verletzungen, Infektionen und anderen Gesundheitsgefahren im Zusammenhang mit gefährlichen Abfällen zu minimieren.

Welche Rolle spielen die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in den mobilen Rettungszentren? Gibt es hier bestimmte Maßnahmen?

Wegen der besonderen Problematik einer möglichst schadlosen Abfallentsorgung im Einsatzland kommt der Abfallvermeidung eine hohe Priorität zu. Eine sorgsame und durch Fachpersonal unterstützte Abfalltrennung führt regelmäßig zu einer Mengenreduzierung und trägt damit direkt zu einer verbesserten Nachhaltigkeit bei. Kreislaufwirtschaftskonzepte werden bis dato bei der Entsorgung medizinischer Abfälle im Auslandseinsatz aber noch nicht angewendet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Vogelperspektive Rettungszentrum Bundeswehr (Foto: Bundeswehr/Jan Pissarek)
Mobile Rettungszentren der Bundeswehr gewährleisten eine erste medizinische Versorgung verwundeter Soldatinnen und Soldaten und sind mit zwei Operationssälen die erste chirurgische Einrichtung in der Rettungskette. (Foto: Bundeswehr/Jan Pissarek)