Die Verbreitung von multiresistenten Erregern (MRE) und daraus entstehenden nosokomialen Infektionen werden zunehmend zum Problem im klinischen Alltag. Beim Kampf gegen die Krankenhauskeime gelten die Niederlande als besonderes Vorbild. Denn in unserem Nachbarland liegt die Infektionsrate wesentlich niedriger als in Deutschland, was vor allem auf die konsequente Umsetzung von zielgerichteten Präventionsmaßnahmen zurückzuführen ist. Abfallmanager Medizin hat mit dem medizinischen Mikrobiologen Dr. Wil van der Zwet des Maastricht University Medical Center+ über den Umgang mit multiresistenten Keimen in den Niederlanden gesprochen.
Im Gegensatz zu Deutschland verfügen viele niederländische Krankenhäuser über ein hauseigenes mikrobiologisches Labor, in dem Patientenproben vor Ort ausgewertet werden können. So auch das Maastricht University Medical Center+ (MUMC+), das zu einem der acht Universitätskliniken in den Niederlanden gehört und über 715 Betten verfügt. Der Fokus des MUMC+ liegt neben der Patientenversorgung besonders auf den Bereichen Forschung, Bildung und Ausbildung. Aktuelle Forschungsprojekte, an denen das Krankenhaus beteiligt ist, beschäftigen sich z. B. mit der Erforschung von alternativen Technologien, um den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren.
Zur Person: Dr. Wil van der Zwet
- Medizinstudium in Amsterdam
- Doktorarbeit über die Epidemiologie von Krankenhausinfektionen auf der Neugeborenen-Intensivstation
- mehrjährige Tätigkeit als Epidemiologe, Arzt und Mikrobiologe am Deventer Hospital
- seit 2016 Mikrobiologe am MUMC+ in Maastricht mit dem Schwerpunkt Infektionsprävention
In Deutschland kommen multiresistente Krankenhauskeime weitaus häufiger vor als in den Niederlanden. Die Verbreitung von MRSA beispielsweise liegt hierzulande bei elf Prozent, in niederländischen Kliniken nur bei einem Prozent. Welche Präventionsmaßnahmen tragen besonders zu diesem Erfolg bei?
Dr. Wil van der Zwet: Die niedrige MRSA-Prävalenz in den Niederlanden lässt sich auf die strikte Einhaltung der sogenannten „search and destroy“-Politik (deutsch: suchen und vernichten) in Kombination mit einer restriktiven Antibiotika-Politik zurückführen. Erstere beinhaltet die isolierte Behandlung und Pflege von MRSA-positiven Patienten sowie die aktive Suche nach möglichen MRSA-positiven Patienten und -Trägern. Diese Vorgehensweise wird nicht nur in den Einrichtungen des Gesundheitswesens umgesetzt, sondern es werden auch MRSA-Träger in der Allgemeinbevölkerung behandelt. Alle Einrichtungen des Gesundheitswesens halten sich strikt an diese Leitlinien und setzen sie um, was von der niederländischen Aufsichtsbehörde für das Gesundheits- und Jugendwesen (Inspectie Gezondheidszorg en Jeugd, IGJ) überwacht wird.
Außerdem ist der Einsatz von Antibiotika in den Niederlanden geringer als in Deutschland, was den Selektionsdruck für Bakterien, zu resistenten Bakterien zu mutieren, und die Fähigkeit zur Ausbreitung verringert. Darüber hinaus unterscheidet sich das deutsche vom niederländischen Gesundheitssystem. In den Niederlanden ist die Gesundheitsversorgung stärker zentralisiert, während es in Deutschland auch privat arbeitende Fachärztinnen und -ärzte gibt, bei denen die MRSA-Bakterien ebenfalls eine Chance haben, sich weiter zu verbreiten.
Identifizierung von Risikofaktoren zur MRSA-Bekämpfung
Vor der stationären Aufnahme von Risikopatientinnen und -patienten führen deutsche Krankenhäuser in der Regel ein MRSA-Screening durch. Wie ist das Screening in den Niederlanden geregelt und wer gehört zur Risikogruppe?
Dr. Wil van der Zwet: Bei der Aufnahme in ein niederländisches Krankenhaus wird zunächst eine Patientenbefragung durch eine Pflegefachkraft durchgeführt und das Ergebnis in der elektronischen Patientenakte festgehalten. Je nach Risikokategorie der Patientin bzw. des Patienten folgt darauf ein MRSA-Screening und die Zuordnung zu einer bestimmten Isolationsstufe. Zur Kategorie 1 zählen bekannte MRSA-Träger, die streng isoliert werden. In die Kategorie 2 fallen mögliche MRSA-Träger mit hohem Risiko. Für diese ist eine Isolation vorgeschrieben, bis der MRSA PCR negativ ist. Die Kategorie 3 beinhaltet mögliche MRSA-Träger mit geringem Risiko, bei denen nur nach einem positiven Testergebnis eine strenge Isolation eingeleitet wird. Mögliche Risikofaktoren sind u. a. invasive Eingriffe in einem ausländischen Krankenhaus, chronische Infektionen oder hartnäckige Hautverletzungen sowie Infektionsherde (z. B. Abszesse oder Furunkel) bei der Krankenhauseinweisung.
Der niederländische Screening-Fragebogen enthält folgende Fragen:
- Sind Sie MRSA-positiv oder waren Sie in der Vergangenheit MRSA-positiv? (Kategorie 1)
- Haben Sie oder ein Haushaltsmitglied Kontakt zu gewerblich gehaltenen Schweinen/Kälbern/Masthühnern? (Kategorie 2)
- Haben Sie vor <2 Monaten in einem Asylbewerberheim gelebt? (Kategorie 2)
- Wurden Sie vor <2 Monaten in einer ausländischen Gesundheitseinrichtung >24 Stunden aufgenommen? (Kategorie 2)
- Hatten Sie vor <2 Monate einen bis zu 24-stündigen Aufenthalt in einer ausländischen medizinischen Einrichtung und weisen Sie Risikofaktoren auf? (Falls ja: Kategorie 2, falls nein: kein MRSA Risiko)
- Wurden Sie vor >2 Monaten, aber <12 Monaten in eine ausländische medizinische Einrichtung eingewiesen und weisen Sie Risikofaktoren auf? (Falls ja: Kategorie 3, falls nein: kein MRSA Risiko)
Bis Krankenhauskeime in deutschen Kliniken identifiziert werden, geht oft viel Zeit verloren, weil die entnommenen Proben häufig in andere Städte verschickt werden müssen. Viele niederländische Kliniken verfügen hingegen über ein eigenes mikrobiologisches Labor. Wie lange dauert es im Schnitt, bis Sie MRSA in einer Probe nachweisen können und welche Methoden nutzen Sie dafür?
Dr. Wil van der Zwet: Bei Proben von Patientinnen und Patienten der Kategorien 1 und 3 wird das konventionelle Kulturverfahren zum MRSA-Nachweis durchgeführt. Bis zum Vorliegen des Befundes können einige Tage vergehen. Die schnellste Methode ist der PCR-Test, welcher bei der Kategorie 2 zum Einsatz kommt: Innerhalb von 24 Stunden stehen die Ergebnisse zur Verfügung. Im Falle eines negativen Resultates kann die Isolation beendet werden, andernfalls erfolgt eine erneute MRSA-Kultur zur Bestimmung des Resistenzmusters und zur Genotypisierung.
Laut dem deutschen Infektionsschutzgesetz liegt ein nosokomialer Ausbruch vor, wenn mindestens zwei Personen an einer nosokomialen Infektion erkranken, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder ambulanten medizinischen Maßnahme steht. Wann sprechen Sie in den Niederlanden von einem Ausbruch?
Dr. Wil van der Zwet: Dies hängt von dem jeweiligen Mikroorganismus ab. Im Falle von MRSA spricht man von einem Ausbruch, wenn zwei oder mehr Erkrankte mit einem identischen MRSA-Stamm kolonisiert oder infiziert sind.
Welche sind die wichtigsten Maßnahmen, die in niederländischen Krankenhäusern beim Auftreten von nosokomialen Infektionen eingeleitet werden?
Dr. Wil van der Zwet: Für MRSA gilt das bereits genannte „search and destroy“-Verfahren, das durch Quellen- und Kontaktverfolgung durchgeführt wird. In unserem Krankenhaus führen wir eine ständige Überwachung nosokomialer Infektionen durch. Dies ist nicht in jedem Krankenhaus in den Niederlanden der Fall. Für jede Abteilung werden historische Normalwerte für alle Arten von nosokomialen bakteriellen Infektionen festgelegt, da diese nicht zu 100 Prozent vermeidbar sind. Jeden Monat wird die Zahl der Krankenhausinfektionen der Abteilung mit diesem historischen Wert verglichen. Wenn die Inzidenz um mehr als zwei Standardabweichungen erhöht ist, leitet die Abteilung Infektionskontrolle eine zusätzliche epidemiologische Analyse ein: Sind die Stämme phänotypisch identisch? Haben die betroffenen Patientinnen und Patienten das gleiche Zimmer benutzt? Besteht der Verdacht auf eine nosokomiale Übertragung, werden die inkriminierten Stämme genotypisiert. Die Ergebnisse werden gemeldet und mit der klinischen Abteilung besprochen, zusätzlich wird eine Bestandsaufnahme zur möglichen Verbesserung der Maßnahmen zur Infektionsprävention durchgeführt. Tritt eine Infektion mit multiresistenten Bakterien (z. B. MRSA, VRE) auf, wird das Patientenzimmer mit H2O2-Vernebelung desinfiziert, um eine Übertragung auf einen nachfolgenden Patienten zu verhindern.
Hygieneprotokolle zur Senkung des Infektionsrisikos
Beteiligte des deutschen Forschungsprojekts KARMIN haben erforscht, wie Architektur das Infektionsrisiko in Krankenhäusern senken kann. Architekten der TU Braunschweig entwickelten zusammen mit Molekularbiologen und Medizinern einen Prototypen für ein infektionspräventives Zweibettzimmer, das die Hygienestandards erhöht, u. a. mit gegenübergestellten Betten und getrennten Bädern. Welche Hygienemaßnahmen werden in Patientenzimmern von niederländischen Krankenhäusern ergriffen, um Krankenhausinfektionen zu verhindern?
Dr. Wil van der Zwet: In allen niederländischen Krankenhäusern werden die grundlegenden Hygieneprinzipien befolgt, z. B. das Führen von Handhygieneprotokollen, das Anbringen von Handdesinfektionsspendern am Bett und das Platzieren der Betten mit einem Mindestabstand von 1,5 m zueinander. In neu gebauten Krankenhäusern werden Mehrbettzimmer so weit wie möglich vermieden. Patienten haben vorzugsweise eigene Badezimmer.
Abfallmanagement als wichtiges Element der Krankenhaushygiene
Für die Krankenhaushygiene spielt auch eine sichere Abfallentsorgung eine wichtige Rolle. Wie gehen Sie mit Sonderabfällen um und vor welchen Herausforderungen stehen Sie im Umgang mit diesen?
Dr. Wil van der Zwet: Seit 1992 sind Sonderabfälle aus Krankenhäusern (Specific Hospital Waste, SHW) eine eigene Kategorie von gefährlichen Abfällen im Umweltmanagementgesetz. Dabei handelt es sich um Abfälle aus Einrichtungen des Gesundheitswesens sowie von niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten. Im Mai 2002 wurde ein offizielles europäisches Abfallverzeichnis für alle EU-Mitgliedstaaten eingeführt.
In unserem Krankenhaus sind die folgenden Materialien als Sonderabfälle definiert:
- menschliche Rückstände von Patienten nach Operationen, Autopsien und aus der medizinischen Forschung
- Abfälle aus Abteilungen und Räumen, in denen Patienten mit hochresistenten Mikroorganismen oder hochinfektiösen Krankheiten isoliert wurden (für virales hämorrhagisches Fieber gibt es ein spezielles Verfahren)
- scharfe Gegenstände wie Nadeln, Kapillaren, Skalpelle, Blutröhrchen usw.
- größere Mengen von Blut, Plasma und anderen menschlichen Flüssigkeiten
- mikrobiologisch kontaminierte Abfälle aus dem mikrobiologischen Labor
In unserem Krankenhaus werden medizinische Sonderabfälle in speziellen Kunststofffässern gesammelt, die den ADR-Anforderungen entsprechen, und anschließend in einer speziellen Anlage (ZAVIN in Dordrecht) verarbeitet und bei ± 1000 °C verbrannt.
Die Herausforderungen, vor denen wir in den kommenden Jahren in Bezug auf Sonderabfälle stehen, bestehen zum einen darin, ihre Menge durch eine frühzeitige Trennung zu reduzieren. Zum anderen möchten wir versuchen, eine nachhaltigere und kostengünstigere Alternative zur Verbrennung zu finden. Hier arbeiten wir mit der Organisation zusammen, die unsere Sonderabfälle verarbeitet.
Vielen Dank für das Gespräch, welches wir auf Englisch geführt und anschließend übersetzt haben.