Zwölf Operationssäle mit voll digitalisierter Materiallogistik – mit dem Neubauprojekt am Standort Detmold ergriff das Klinikum Lippe die Chance, das Materialmanagement vollkommen neu zu denken. Mithilfe robotergestützter Technologie und einem digitalen Warenwirtschaftssystem gestaltete Martin Wall, OP-Manager und Notfallkoordinator am Klinikum Lippe, gemeinsam mit seinem Team den Krankenhausbetrieb um. Wie sich die Materiallogistik veränderte und welche (unbeabsichtigten) Verbesserungen daraus für das Abfallmanagement resultierten, berichtet Wall im Interview mit Abfallmanager Medizin.
Zur Person: Martin Wall
- seit Oktober 2021 OP-Manager Klinikum Lippe GmbH
Das Klinikum Lippe setzt seit einiger Zeit auf die vollständige Digitalisierung der Materiallogistik im OP. Warum haben Sie sich, Herr Wall, dafür entschieden und was wollen Sie damit erreichen?
Vielleicht erstmal einmal vorab als grobe Orientierung: Das Klinikum Lippe besteht aus unseren zwei Standorten Detmold und Lemgo. Im Zuge des Neubauprojektes am Standort Detmold haben wir die Chance genutzt, unsere Materiallogistik zu modernisieren. Der Antrieb liegt hier aber weniger in der Digitalisierung selbst, sondern vor allem im demografischen Wandel. Die Altersstruktur bei uns im Haus steigt in den letzten Jahren deutlich an, knapp die Hälfte unserer Arbeitskräfte wird in den nächsten fünf bis acht Jahren in den Ruhestand gehen. Es gibt immer weniger junge Menschen, die in die Pflege gehen und das entwickelt sich für uns zunehmend zu einem großen Problem. Um uns zukunftssicher aufzustellen, versuchen wir mit verschiedenen Projekten unsere Arbeitskraft langfristig zu sichern. Und eines dieser Projekte ist die Digitalisierung der Materiallogistik im OP. Wir wollen, dass für unsere Kolleginnen und Kollegen wieder die Patienten im Mittelpunkt stehen und sie nicht nur mit organisatorischen Aufgaben beschäftigt sind. So wollen wir eine qualitative gute Versorgung bieten und letztendlich auch unsere Effizienz steigern. Dazu gehört einerseits die möglichst effiziente Nutzung der Ressource Arbeitskraft, andererseits müssen auch Abläufe im OP optimiert und neu strukturiert werden.
Wie gestaltete sich dieser Prozess der Digitalisierung bzw. Umstrukturierung?
Orientiert an den Bedürfnissen der verschiedenen Operationen sowie an den bisherigen Arbeitsabläufen haben unsere Mitarbeitenden aus dem OP gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Materiallogistik angefangen, eine digitale Basis aufzubauen. Dafür wurden Listen erstellt, welche Materialien, Werkzeuge und Produkte – die beispielsweise für eine standardmäßige Hüft-Operation benötigt werden – zusammenfassen. Diese Listen wurden digitalisiert, in unser System eingestellt und die benötigten Materialien sind nun auf Knopfdruck bestellbar. Die Produkte werden vollautomatisiert in den jeweiligen Rüstraum, zur sogenannten Entnahmestelle gebracht, wo sie durch die Kolleginnen und Kollegen entnommen und zur OP-Vorbereitung genutzt werden.
Automatisierung der Materiallogistik
Sie sagten, dass Materialien vollautomatisiert geliefert werden. Wie wird das technisch umgesetzt?
In unserem gesamten OP-Trakt – bestehend aus Alt- und Neubau – sind die Flure auf beiden Etagen mit einem in der Decke integrierten Schienennetzwerk ausgestattet, an dem die Waren mithilfe von robotikgestützter Technik transportiert werden. Die Flure in unserem Altbau sind sehr eng, deshalb haben wir uns im Vergleich zu anderen Kliniken, die vorrangig Transportsysteme auf dem Boden nutzen, für eine schwebende Lösung entschieden. Im Untergeschoss befinden sich unser aus 960 Stellplätzen bestehendes Kommisionierungs-Vertikallager sowie ein weiteres Vertikalloager mit 2062 Stellplätzen und die AEMP, in dem unsere Instrumente aufbereitet werden. Anschließend werden die Instrumente in unser automatisiertes Lagersystem einsortiert und unsere Mitarbeitenden können sie über unser digitales Tool anfordern. Nach der Bestellung fährt ein Roboter zum jeweiligen Lagerbereich, entnimmt die notwendigen Materialien und fährt sie sicher verpackt über das Schienennetzwerk zum OP-Rüstraum.
Im Klinikum Detmold teilen sich immer zwei OP-Säle einen Vorbereitungs- bzw. Rüstraum, wo die Produkte mittels Technologie auf einem fest definierten Platz abgeladen werden. Die Anlieferung dauert im „Worst-Case“ knapp vier Minuten. Die ersten Operationen des Tages werden vollautomatisiert, also ohne vorherige manuelle Beauftragung, vom System angeliefert.
Für Notfälle wird Zentral im OP alles gelagert, um jederzeit agieren zu können.
Mit welchen Herausforderungen war die Umstrukturierung verbunden? Wie reagierte das Personal?
Die Einführung eines neuen Systems ist natürlich immer aufregend und es kann nicht immer alles reibungslos laufen. Handwerker verschiedener Gewerbe waren knapp zwei Jahre damit beschäftigt, die notwendigen architektonischen und technischen Strukturen aufzubauen. Lebensnotwendige Adern, darunter Stromleitungen, Lüftung und Klimaanlage, mussten umgelegt und die Schienen installieren werden. Das passierte alles „on the fly“ und schränkte den „normalen“ Alltag im OP-Bereich natürlich mal mehr, mal weniger ein. Neben den baulichen Veränderungen sind wir als Führungskräfte natürlich auch verpflichtet, unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege und Ärzteschaft bei der Umgestaltung mitzunehmen. Zu einem guten Change-Management gehört es dabei, die Mitarbeitenden regelmäßig über Fortschritte zu informieren, Bedürfnisse zu berücksichtigen und entsprechende Schulungen anzubieten bzw. zu organisieren. Auch wenn einige Kolleginnen und Kollegen anfangs skeptisch und vielleicht auch nicht unbedingt super erfreut über die anstehenden Umstrukturierungen waren, hat niemand die Digitalisierung vollständig abgelehnt. Hilfreich war hier natürlich auch, dass unsere Mitarbeitenden in Arbeitsgruppen eingebunden waren, in denen beispielsweise die Materiallisten für bestimmte Operationen o. ä. erstellt wurden, und so eine entscheidende Rolle im Prozess spielten bzw. immer noch spielen.
Wie trägt die Digitalisierung zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung in der OP-Logistik bei?
Momentan nutzen wir das System noch nicht lang genug, um eine wirkliche Kostenbilanz ziehen zu können. Aber wir könnenjetzt schon sagen, dass sich eine Effizienzsteigerung deutlich erkennen lässt. Gerade in Fällen, in denen Mitarbeitende eine kranke Kollegin oder einen kranken Kollegen vertreten müssen, sind diese automatisierten Bestellprotokolle besonders vorteilhaft. Mit unserem neuen System ist kein zeitaufwendiges Zusammensuchen von Materialien mehr notwendig, diese können ganz bequem bestellt werden. Das reduziert natürlich auch die Fehlerquote im regulären OP-Alltag. Stichwort Inventur: Die fällt jetzt weg bzw. wird automatisiert durchgeführt, was unsere Mitarbeitenden besonders freut. Großer Vorteil ist auch, dass wir den Ressourcenverbrauch so gering wie möglich halten, was sich natürlich auch in unseren Abfallmengen spiegelt.
Abfallmanagement profitiert von optimierter Logistik
Welchen Einfluss hat die optimierte Materiallogistik auf das Abfallmanagement?
Unser System bietet neben der Optimierung der Bestellprozesse auch die Möglichkeit, den Verbrauch genutzter Materialien besser nachzuverfolgen und so Ressourcen einzusparen. Wir wollen hier nicht maßregeln und die OP-Teams für die Nutzung einzelner Kompressen verurteilen, sondern wollen, dass nach der Devise „so viele Materialien wie nötig und so wenig wie möglich“ operiert wird. So sparen wir Ressourcen, reduzieren unser Abfallvolumen und können einen wertvollen Beitrag leisten, unsere CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren.
Wie haben die Umbaumaßnahmen das Entsorgungsmanagement beeinflusst?
Vor der Umstellung der Materiallogistik haben wir einen der beiden Aufzüge unseres OP-Trakts als Rein-Aufzug für sterilisierte Instrumente u. ä. genutzt, den anderen für benutzte Instrumente, die zur Sterilisation gebracht werden sollten. Mit dem robotikgestützten System müssen wir die Aufzüge nun nicht mehr für den Transport der Instrumente nutzen. Den ehemals „unreinen“ Aufzug nutzen wir nun vorrangig für den Transport unserer Abfälle. Diese werden gemäß ihrer Abfallschlüssel auf der OP-Etage gesammelt und dann über den Aufzug direkt zum Wirtschaftshof transportiert, wo sie durch unseren Entsorger abgeholt werden. So können wir Sicherheitsrisiken auf ein Minimum reduzieren und gefährden weder Mensch noch Umwelt. Wir haben so die Umstrukturierungen unserer Materiallogistik genutzt, um unser Abfallmanagement ein Stück weit zu optimieren – auch wenn das eigentlich nicht beabsichtigt war.
Können Sie uns kurz beschreiben, wie das Abfallmanagement in Detmold organisiert ist?
Im Bereich Entsorgungsmanagement sind wir eigentlich sehr gut aufgestellt. Wir trennen beispielsweise bereits seit vielen Jahren sehr konsequent unsere nicht-kontaminierten Abfälle gemäß ihrer Materialzusammensetzung und können so möglichst viele Wertstoffe in den Kreislauf zurückgegeben. Für die kommenden Jahre planen wir zudem, uns noch intensiver mit den Themen Abfallvermeidung und Ressourcenschutz auseinanderzusetzen – beispielsweise konkrete Projekte wie das Recycling von Atemkalk oder ähnliches in Angriff zu nehmen. Man merkt, dass die Themen Abfallreduzierung, Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz für die Kolleginnen und Kollegen immer wichtiger werden. Da die Abfalltrennung gerade in Privathaushalten eine große Rolle spielt, sind viele Kolleginnen und Kollegen hinterher, Abfalltrennkonzepte auch im Berufsalltag umzusetzen. Und wir begrüßen dieses Engagement natürlich und wollen unsere Bemühungen, wie gesagt, in den kommenden Jahren vertiefen. Allerdings muss man sagen, dass uns in den letzten drei Jahren vor allem die Umbauarbeiten in unserem OP-Bereich so eingespannt haben, dass viele andere Themen in den Hintergrund gerückt sind.
Digitale Zukunft im Gesundheitswesen
Welche neuen Technologien könnten Ihrer Meinung nach die Materiallogistik und das Abfallmanagement weiter revolutionieren?
Digitalisierung spielt in der heutigen Zeit eine sehr große Rolle, vor allem unterschiedlichen Formen von Künstlicher Intelligenz (KI) werden in den kommenden Jahren in nahezu allen Lebensbereichen Einzug halten. Wir müssen uns nur die Frage stellen: Wie kann man KI adäquat für das Gesundheitswesen nutzbar machen? Ich bin gespannt, welche Pilotprojekte es hierzu zeitnah geben wird. Dafür braucht es aber vor allem auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen eines Krankenhaus – z. B. der Hygiene, des Abfallmanagements und der Pflege – sowie verschiedenen Institutionen und Unternehmen, wie Gesundheitsämtern, Produktherstellern und Entsorgern um Entwicklung voranzutreiben.
Vielen Dank für das Gespräch!