Ihr Hauptaugenmerk richten Mitarbeitende der Anästhesie auf die Einleitung von Narkosen, Überwachung der Vitalfunktionen sowie Versorgung mit notwendigen (schmerzlindernden) Medikamenten während der gesamten Operation. Neben ihrer eigentlichen Tätigkeit im OP ermöglicht die zentrale Position am Kopf der Patientinnen und Patienten den Anästhesistinnen und Anästhesisten den Blick über den gesamten Operationsablauf und damit auch die Sicht auf den Einsatz von Verbandsmaterialien, OP-Instrumenten und Medikationen.
Der ganzheitliche Blick der Anästhesie beschränkt sich nicht nur auf die Betreuung der Patientinnen und Patienten, sondern die Fachärztinnen und Fachärzte überblicken auch alle Arbeitsabläufe im Operationssaal, geben ihr Feedback in Arbeitskreise und identifizieren so Einsparungspotenziale und Optimierungsmaßnahmen an Entsorgungs- und Recyclingkonzepten. Deshalb wundert es auch nicht, dass viele Anästhesistinnen und Anästhesisten gerade im Bereich Nachhaltigkeit zu den treibenden Kräften in Kliniken gehören.
Einsparen von Verbrauchsmaterialien im OP
Zwischen 20 und 30 Prozent aller Abfallmengen in deutschen Krankenhäusern entstehen im OP. Ein Viertel dieser Abfälle kann dabei direkt der Anästhesie zugeordnet werden. Hier ist besonders die zunehmende Verwendung von Einmalinstrumenten zu erwähnen, die alle einzeln steril verpackt sind. Werden die Verpackungen nicht kontaminiert, beispielsweise durch den Kontakt mit Blut, Sekreten oder Exkreten, ist der größte Teil der Verpackungsabfälle recycelbar.
Kliniken können bereits im Einkauf darauf achten, Instrumente mit geringem Verpackungsvolumen zu erwerben und so einen wertvollen Beitrag zur Senkung des CO2-Fußabdruckes leisten. Neben dem ersten Schritt – der Abfallvermeidung – sollte jedes Krankenhaus ein funktionierendes Abfall- und Recyclingkonzept erstellen. Das ist in vielen Einrichtungen die Basis für eine sortenreine Trennung, eine höhere Recyclingquote und kann Entsorgungskosten deutlich verringern.
Menge und Einsatz von Medikamenten prüfen
Vor einer Operation werden für den Notfall verschiedene Medikamente in Spritzen oder Infusionen vorbereitet, welche im besten Fall nicht zum Einsatz kommen müssen. Diese nicht genutzten Wirkstoffe verursachen aber große Abfallmengen und sorgen zusätzlich für hohe Kosten. In ihrem Positionspapier empfehlen die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) sowie des Berufsverbands Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) hier in Erwägung zu ziehen, in der Krankenhausapotheke Fertigspritzen herstellen zu lassen bzw. diese einzukaufen – natürlich unter Berücksichtigung der entsprechenden hygienischen Bestimmungen. So sind Wirkstoffe in der Regel länger haltbar und müssen nicht verworfen bzw. kann der Verwurf deutlich reduziert werden.
Entsorgung von intravenösen und volatilen Narkosen
Je nach Narkoseverfahren – intravenösen oder volatilen Anästhetika – fallen verschiedene Abfälle an, die unterschiedlich entsorgt, gegebenenfalls recycelt oder vernichtet werden müssen. Übrig gebliebene Betäubungsmittel einer intravenösen Narkose sind gemäß der Betäubungsmittelverordnung zu entsorgen. Angebrochene Behältnisse sowie Spritzen müssen vollständig entleert und können gemeinsam mit Abfällen des AS 180104 verworfen werden. Bei größeren Mengen von Narkosemitteln, die nicht in der Betäubungsmittelliste aufgeführt sind, erfolgt die Entsorgung als Chemikalienabfall gemäß AS 180107. Hier muss das Sicherheitsdatenblatt des Herstellers beachtet werden.
Besonders überwachungsbedürftig ist die Entsorgung von mit Atemkalk gefüllten Absorbern, welche in der Rückatmungstechnik eingesetzt werden und das ausgeatmete Kohlendioxid aus der Atemluft der Patientinnen und Patienten entfernen. Atemkalk zählt zu den gefährlichen Abfällen und ist getrennt zu sammeln und nach Abfallschlüssel AS 180106* zu entsorgen. Größeren Mengen müssen nach den Abfallschlüsseln AS 150202* oder AS 160506* entsorgt werden. Aufgrund der Überwachungsbedürftigkeit ist das Führen eines Entsorgungsnachweises zur Sonderabfallverbrennung (SAV) verpflichtend. In den letzten Jahren wurden spezielle Verfahren entwickelt, mithilfe deren Atemkalk recycelt und beispielsweise als Pflanzendünger eingesetzt werden kann.
Immer mehr Kliniken verzichten auf Narkosegase
Das Gesundheitswesen gilt als eines der fünf größten Treibhausgas-Produzenten des Landes – einen großen Anteil an dieser Bilanz haben Narkosegase. Um diesem Problem Einhalt zu gebieten, gewinnt das Recycling sowie das Einsparen dieser Gase in Kliniken immer mehr an Bedeutung. Ein erster Schritt ist, die Nutzung von besonders klimaschädlichen Narkosegasen wie Desfluran oder Lachgas so weit wie möglich zu reduzieren. Diese Gase sind für Mensch und Umwelt um ein Vielfaches schädlicher als CO2. Viele Kliniken – darunter beispielsweise verschiedene Helios Kliniken sowie die BG Kliniken – verzichten bereits auf den Einsatz von Desfluran. Die BG Kliniken konnten mit der Umstellung ihrer Narkoseverfahren zwischen 2019 und 2022 insgesamt 2.130 Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht an einigen Standorten des KlinikkonzernsEinsparungen von bis zu 60 Prozent der verursachten Treibhausgas-Emissionen. Alternative Verfahren sparen deutlich Treibhausgase ein und können zusätzlich Kosten reduzieren.
Zur Einsparung von Narkosegasen haben Untersuchung den Einsatz von Propofol als umweltfreundlichere Alternative identifiziert. Aus diesem Grund ist es beispielsweise sinnvoll, in der Überbrückungsphase von der Anästhesieeinleitung bis zur Einfahrt in den OP-Saal Propofol anstatt Narkosegase zu nutzen. Das Systemvolumen der Narkosegeräte muss für die Überbrückung komplett mit Gas gefüllt werden, das nach dem Verlassen des Einleitungsplatzes in die Atmosphäre entweicht. Aufgrund des Entweichens des Gases wird die Nutzung von Propofol aber teilweise auch sehr kritisch wahrgenommen. Um diesen Vorgang zu verhindern, können Kliniken Atemkalkfilter einsetzen. Diese stellen aber nur dann eine nachhaltige Alternative dar, wenn der Atemkalk im Anschluss recycelt wird.
Nachhaltige Anästhesie: Einblicke in die Praxis
Es braucht nachhaltige und umweltschonende Strukturen in Kliniken, um nicht nur die Umwelt und Patientinnen und Patienten zu schützen, sondern auch die Mitarbeitenden. Die Redaktion Abfallmanager Medizin sprach mit Heiko Schlüter und Hans-Peter Kiefler, die uns Einblicke in die Maßnahmen zur nachhaltigen und umweltschonenden Ausrichtung der Anästhesie an den Universitätskliniken Hamburg-Eppendorf und Düsseldorf gewährten.
Heiko Schlüter – Betriebsbeauftragter für Abfall und Fachkraft für Arbeitssicherheit, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Welche Narkosen kommen vorrangig in Ihrem Haus zum Einsatz und warum nutzen Sie die entsprechenden Verfahren?
Wir nutzen sowohl intravenöse als auch volatile Anästhetika – beide mit einem Anteil von ungefähr 50 Prozent. Gerade zum Schutz der Patientinnen und Patienten und auch unserer Mitarbeitenden verzichten wir auf den Einsatz von Lachgas und Desfluran. Zudem setzen wir auf Narkosegasabsaugungen und arbeiten mit Niedrigflussnarkosen, um den Verbrauch und die Arbeitsplatzkonzentrationen für Anästhetika niedrig zu halten.
Umweltschutz und Nachhaltigkeit scheinen in Ihrem Haus – vor allem in der Anästhesie – eine große Rolle zu spielen. Können Sie uns etwas mehr über die angesprochenen Projekte erzählen?
Nachhaltigkeit hat sich in den letzten Jahren in allen Bereichen im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zu einem wichtigen Thema entwickelt. Gestartet haben wir mit ersten Maßnahmen in der Anästhesie und der Intensivmedizin, mittlerweile setzen sich aber alle Abteilungen mit diesem Thema auseinander. In unseren OP-Sälen läuft aktuell beispielsweise ein Pilotprojekt zum Recycling benutzter Atemkalkfilter mit einem Lieferanten. Wir versuchen aber nicht nur die Gase und den Kalk zu recyceln, sondern haben auch ein weiteres Pilotprojekt zur Verwertung unserer Beatmungsschläuche angeschoben. Diese sammeln wir separat und übergeben sie an den Lieferanten, damit Rohstoffe granuliert und wiederverwendet werden können. Auch hier handelt es sich um ein Pilotprojekt, denn aktuell gibt es kaum Verwertungsmöglichkeiten für all die genutzten Beatmungsschläuche und es muss sich zeigen, ob die Materialzusammensetzung für einen Wiedereinsatz der Rohstoffe geeignet ist.
Hans-Peter Kiefler – Betriebsbeauftragter für Abfall, Gefahrgut-, Gewässerschutzbeauftragter, Universitätsklinikum Düsseldorf
Welche Narkosen werden vorrangig in Ihrem Haus genutzt und wie entsorgen Sie beispielsweise Medikamentenreste o. ä.?
Am Universitätsklinikum Düsseldorf haben wir unsere gesamte Anästhesie auf Narkosemethoden umgestellt, die wenig Treibhausgase freisetzen. Zusätzlich nutzen wir Filtersysteme, mit denen wir verhindern können, dass Treibhausgase direkt in die Atmosphäre gelangen. Diese Atemkalk-Kartuschen entsorgen wir nicht im herkömmlichen Sinne, sondern geben sie zum Recycling an den Hersteller zurück. Reste der genutzten Anästhetika entsorgen wir nach dem Betäubungsmittelgesetz, diesgeschieht zusammen mit einem Vertretenden aus der Ärzteschaft sowie der Krankenhausapotheke. Unser Motto ist hier: So wenig wie möglich und so viel wie nötig. So können wir Medikamente und Materialien einsparen und am Ende muss weniger entsorgt werden.
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen der Anästhesie und anderen im OP arbeitenden Mitarbeitenden im Bereich Entsorgung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit? Gibt es hier beispielsweise Arbeitsgruppen zur Einsparung von Ressourcen o. ä.?
Den Anästhesistinnen und Anästhesisten in unserem Haus ist der Umweltschutz besonders wichtig. Mitarbeitende aus diesem Fachbereich gehörten auch zu den ersten Mitarbeitenden, die mit Ideen für Einsparungen von Ressourcen, der Nutzung umweltschonender Wirkstoffe oder Änderungen an Arbeitsprozessen auf uns zukamen. Um sich in diesem Bereich auszutauschen, hat sich zuerst eine private Initiative verschiedener Zugehörigkeitenaus aus dem OP – sprich Anästhesistinnen und Anästhesisten, medizinisches Fachpersonal sowie Chirurginnen und Chirurgen – gebildet, in der sich alle gemeinsam als Team regelmäßig austauschen. Mittlerweile ist es in unserem Haus eine offizielle Initiative – die Nachhaltigkeitsgruppe Anästhesie, die gefördert wird und in welcher sich mit dem stellvertretenden Abteilungsleiter der Anästhesie auch Personen aus der Führungsebene engagieren. Durch die Arbeit dieser Mitarbeitenden konnten wir bereits treibhausschädliche Narkosemittel gegen wenigertreibhausschädliche Narkosemittel und vor allem nachhaltigere Alternativwirkstoffe austauschen. Zusätzlich konnten wir in vielen Bereichen Ressourcen einsparen, was auch die Abfälle deutlich reduziert hat. Hier ist schon viel passiert, aber wir können und müssen – natürlich immer mit Blick auf die Sicherheit der Patientinnen, Patienten und unserer Mitarbeitenden – noch weitere Maßnahmen umsetzen. Hier muss bereits bei der Beschaffung der Materialien, Medikamente und Werkzeuge angesetzt werden.
Umweltschutz in der Anästhesie profitiert vom Netzwerken
Eine nachhaltige und ressourcenschonende Anästhesie entwickelt sich nicht nur in den einzelnen Kliniken oder auch Klinikverbänden bzw.-konzernen zu einem wichtigen Thema, sondern auch in Fachgesellschaften und krankenhausübergreifenden Netzwerken. So gibt es beispielsweise ein gemeinsames Forum der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten (BDA), die sich unter anderem mit Maßnahmen zum Umweltschutz – vor allem in der Anästhesie, aber auch über die Grenzen der OP-Säle hinaus – auseinandersetzen. Laut der Verbände liege es in der Verantwortung der Ärztinnen und Ärzte hier einen wichtigen Beitrag zu leisten, da der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten sowohl den Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten allgemein verschlechtere als auch die Gesundheitsversorgung erschweren werde. Große Ansatzpunkte, um die Anästhesie nachhaltiger zu gestalten, sind und werden auch zukünftig die Reduzierung volatiler Anästhetika sowie der Einsatz derMinimal-Flow-Narkose sein. Mit den empfohlenen Maßnahmen des Forums „Nachhaltigkeit in der Anästhesie“ konnten bisher schon ca. 70 Prozent der schädlichen Klimaeinflüsse von Narkosen und Sedierungen eingespart werden.
Auch das Projekt KLIK green setzt sich verstärkt für Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Anästhesie ein und konzentriert sich ebenfalls auf die Reduzierung von Narkosegasen bzw. den Verzicht auf volatile Anästhetika. Neben Veranstaltungen, auf denenu. a. zu Nachhaltigkeitsmaßnahmen im OP aufgeklärt wird, gibt es für Interessierte aus Kliniken zusammengestellte Informationen zu diesem Thema sowie ein großes Netzwerk, in dem sich Kliniken mit anderen Einrichtungen austauschen können, die sich ebenfalls mit der Umstellung der Anästhesie beschäftigen oder bereits erfolgreiche Maßnahmen in den eigenen Häusern etabliert haben.
Quellen
- Schuster M. et al.: Positionspapier mit konkreten Handlungsempfehlungen – Ökologische Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie und Intensivmedizin
- Anästhesisten im Netz – Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten: Was macht eine Anästhesistin oder ein Anästhesist?
- aerzteblatt.de: Klimaschutz – Nachhaltigkeit in der Anästhesie
- REMONDIS Medison: OP-Abfälle sicher entsorgen – Auf die richtigen Behälter kommt es an
- kma Online: Zwei Helios-Häuser recyceln Narkosegase
- BG Kliniken: Klimaschutz im OP – BG Kliniken setzen auf umweltschonende Narkosegase
- Sherman J et al. – Anesthesia & Analgesia: Life Cycle Greenhouse Gas Emissions of Anesthetic Drugs
- KLIK green: Narkose und Klimaschutz