Das Zusammenspiel von Nachhaltigkeit und Gesundheitsversorgung rückt auch in Österreich im verstärkter in den Fokus. Um Kliniken und medizinischen Einrichtungen bei der großen Aufgabe – der Klimaneutralität bis 2040 – zu unterstützen, wurde das Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit unter der Leitung von Dr. Ruperta Lichtenecker gegründet. Im Interview gibt sie uns einen Einblick in die verschiedenen Projekte des Kompetenzzentrums, spricht über Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der österreichischen Gesundheitsversorgung und betont u. a. die Rolle des Abfallmanagements für mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen.
Zur Person: Dr. Ruperta Lichtenecker
- seit 2022 Leiterin des Kompetenzzentrums Klima und Gesundheit Österreich
- 2020-2021 Ökonomin im Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Österreich
- 2018-2020 Ökonomin Landesregierung Österreich
- 2020 Kabinettschefin im Sozialministerium Österreich
Frau Dr. Lichtenecker, als Leiterin des Kompetenzzentrums Klima und Gesundheit in Österreich sind Sie Expertin von Umwelt- und Klimaschutz. Können Sie uns die oft in diesem Zusammenhang zitierte Aussage – Klimaschutz ist Gesundheitsschutz – einmal näher erläutern?
Die aktuellen Veränderungen des Klimas und der Umwelt haben große Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Dazu gehören steigende Temperaturen und Wetterextremereignisse, die unter anderem zur Belastung des Herz-Kreislauf-Systems, einer zunehmenden Verbreitung von Viren, Bakterien und Insekten als Krankheitsüberträger und der Zunahme von Allergien führen können. Unterschiedliche wissenschaftliche Studien wie der Report of the Lancet Countdown on Health and Climate Change von 2021 belegen, dass es dringend Maßnahmen braucht, um die Gesundheit der Menschen zu schützen – daher ist Klimaschutz auch Gesundheitsschutz.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der österreichischen Gesundheitsversorgung?
Mit den Projekten des Kompetenzzentrums Klima und Gesundheit, wie der „Beratung für klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“ oder unserem noch recht neu entwickelten Lehrgang für „Klimamanagerinnen und Klimamanager für Krankenanstalten und Pflegeeinrichtungen“, werden die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz im österreichischen Gesundheitswesen forciert. Unsere Gesundheitseinrichtungen genießen hohes Vertrauen und sind wichtige Multiplikatoren in unserer Gesellschaft, daher ist es wichtig, dass sie ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten und damit zum Vorbild werden.
Welche Zielsetzungen haben diese klimafreundlichen Gesundheitseinrichtungen?
Neben den bereits angesprochenen Auswirkungen des Klimas auf die Gesundheit und die Unterstützungsfunktion der Branche, gehört der Gesundheitssektor mit 7 Prozent der Gesamtemissionen des Landes aber auch zu den größten Treibern von Umweltproblemen in Österreich. Hier braucht es Lösungen, damit die Gesundheitsversorgung nicht selbst zum Klimaproblem wird, denn die Folgekosten der Klimakrise sind im Gesundheitssektor am höchsten. Problematisch ist, dass es in vielen medizinischen Einrichtungen noch an Expertise zur Etablierung geeigneter Maßnahmen im Bereich Nachhaltigkeit fehlt.
Kompetenzzentrum als Unterstützung für ein nachhaltiges Gesundheitswesen
Wie unterstützt Ihr Kompetenzzentrum medizinische Einrichtungen bei der nachhaltigen Ausrichtung?
Mit unserem Projekt „Beratung für klimafreundliche Gesundheitseinrichtungen“ wollen wir als Kompetenzzentrum eine Basis für die ganzheitliche Integration von Klimaschutz in den teilnehmenden Gesundheitseinrichtungen schaffen. Dabei ist es unser großes Ziel, Gesundheitseinrichtungen zu unterstützen, sich zu einer klimafreundlichen Einrichtung zu entwickeln, indem sie die erforderliche Expertise, einschlägige Informationen und konkrete Unterstützung aus einer Hand erhalten. Darunter fällt beispielsweise die Identifikation mit bereits umgesetzten Nachhaltigkeitsmaßnahmen sowie das Identifizieren von Verbesserungspotenzialen, eine genaue Auseinandersetzung mit den eigenen Treibhausgasemissionen sowie die Erstellung eines Klima-Aktionsplans mit konkreten Zielen und Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion. Zusätzlich stehen wir den Krankenhäusern bei der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Förderangeboten sowie deren Beantragung zur Seite.
Kliniken positionieren sich mit der Erarbeitung und Umsetzung eines individuellen Klima-Aktionsplans als verantwortungsvolle und zukunftsorientierte Gesundheitseinrichtung, steigern damit auch ihr Image, sind Vorreiter und Multiplikatoren im Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Zusätzlich können sie Energie und Ressourcen einsparen und aktiv ihre Kosten senken – damit lohnt sich die Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen ökologisch, sozial und ökonomisch.
Was gehört zu den Aufgaben und langfristigen Zielen des Kompetenzzentrums?
Das Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit bündelt interdisziplinäre Expertise aus Wissenschaft, Politik und Praxis an den Schnittstellen von Klimaschutz, Gesundheitsförderung und Gesundheitswesen. Unser Ziel ist es, nachhaltige Strategien für gesundheitspolitische Rahmenbedingungen zu entwickeln. Unsere Schwerpunkte liegen dabei auf der Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen, der Stärkung des Gesundheitssektors im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz, der Forcierung der Klimakompetenz im Kontext der Gesundheit sowie der nationalen und internationalen Vernetzung, um gemeinsam Projekte zu erarbeiten, die das Gesundheitswesen langfristig nachhaltiger aufstellen.
Mit welchen Problemen und Herausforderung müssen Sie sich in der Bewältigung Ihrer Aufgabe – der Transformation zu einem klimafreundlichen Gesundheitswesen – auseinandersetzen? Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen?
Wir haben beispielsweise eine Umfrage durchgeführt, welche Hemmnisse in der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen in der Gesundheitseinrichtung gesehen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem fehlende zeitliche und finanzielle Ressourcen als besonders hemmende Faktoren gelten. Aber auch Verfügbarkeit von Daten, der Wissensstand in der Einrichtung oder auch die Kommunikation in den Häusern sind starke Gründe. In der Zusammenarbeit mit den Gesundheitseinrichtungen zeigt sich, dass insbesondere ausreichende Informationen, Expertise und das Know-how für die Mitarbeitenden sowie das Bekenntnis der Führungsebene zum Umweltschutz wichtige Faktoren sind, die Maßnahmen erfolgreich umzusetzen.
Wie waren die bisherigen Rückmeldungen der Projektteilnehmenden?
Bis dato durchweg sehr positiv. Vor allem die breite Aufstellung unseres Kompetenzzentrums, die von uns zur Verfügung gestellte Expertise sowie die Einbindung der Klinikmitarbeitenden wird als sehr hilfreich bewertet. Im Gesamten kann man sagen, dass unsere Projekte eine Basis für wichtige Folgeprojekte wie dem europäischen Umweltmanagementsystem EMAS, der Erarbeitung einer Nachhaltigkeitsstrategie und Erfüllung der Berichtspflicht durch die CSRD – Corporate Sustainability Reporting Directive – bilden.
Wir bekommen von Einrichtungen aber auch immer wieder gespiegelt, dass von Seiten der Politik noch viel passieren muss. Eine Klinik machte beispielsweise deutlich, dass hinsichtlich des Abfallmanagements vor allem der Gesetzgeber und die Hersteller gefordert sind, Verpackungsabfälle möglichst gering zu halten. Große Müllmengen fallen derzeit beispielsweise bei Verbrauchsmaterial und durch Kartonagen von Medikamentenlieferungen an – hier sind auch die gesetzlichen Vorgaben sehr hoch und die Gesundheitseinrichtung hat selbst nur wenig Einfluss.
Gibt es weitere Angebote, Förderprogramme o. ä., mit welchen Kliniken und andere medizinische Einrichtungen unterstützt werden, sich nachhaltiger auszurichten?
Aufbauend auf unserem Projekt hat das Klimaschutzministerium (BMK) gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium (BMSGPK) und dem Kompetenzzentrum Klima und Gesundheit zwei Förderschienen zur Umsetzung von Klimaschutz- und Energieeffizienzmaßnahmen in Krankenhäusern, Reha-Kliniken und Pflegeeinrichtungen entwickelt. Damit wird die Umsetzung von Klimaschutz in österreichischen Gesundheitseinrichtungen bis 2030 mit 350 Millionen Euro gefördert.
Medizinisches Abfallmanagement als zentraler Ansatzpunkt für Klimaneutralität
Welche Rolle spielt konkret das Abfallmanagement in der nachhaltigen Ausrichtung von medizinischen Einrichtungen?
Für die Transformation des Gesundheitswesens hin zur Klimaneutralität sind die klimarelevanten Handlungsfelder der zentrale Ansatzpunkt, dabei spielt das Abfallmanagement, neben der Energieversorgung, der Gebäudeinstandsetzung, den Lieferketten sowie den Beschaffungswegen eine zentrale Rolle. Oberstes Ziel im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist es, auch in Gesundheitseinrichtungen die Abfallmengen so weit wie möglich zu reduzieren. Dazu gilt es zuallererst den Verbrauch medizinischer und nichtmedizinischer Güter durch vielfältige Maßnahmen zu vermindern und Mehrwegprodukte zu nutzen. Wenn sie nicht mehr verwendbar sind, sollten sie möglichst vollständig dem stofflichen Recycling zugeführt werden. Hier besteht in Österreich aber noch viel Handlungsbedarf.
Wie funktioniert Abfallmanagement in Österreich?
Wie ist das Abfallmanagement in Österreich aktuell ausgerichtet? Wie wird die Abfalltrennung umgesetzt?
In Österreich stellt das Abfallwirtschaftsgesetz eine wichtige bundesweite Grundlage der Abfallwirtschaft dar. Zudem haben alle Bundesländer eigene Landesabfallwirtschaftsgesetze auf Basis ihrer Landesabfallwirtschaftspläne, -berichte und/oder -konzepte erstellt. Das Sammeln und Behandeln von Abfällen ist in Österreich dezentralisiert geregelt und je nach Kategorie des Abfalls sind unterschiedliche Akteure zuständig (Bund, Länder, Gemeinde, Wirtschaft). Da die Sammlung von Abfällen in lokaler Verantwortung liegt, kommt es bei der Trennung und Sammlung von Abfällen zu unterschiedlichen Varianten.
Wenig regionale Unterschiede gibt es bei der Sammlung von z. B. Altpapier, Kartonagen oder Altglas. Demgegenüber steht die regional unterschiedliche Sammlung von beispielsweise Restabfällen oder Metallverpackungen. Für die Verpackungsabfälle werden nach und nach bundesweite Regelungen eingeführt. So werden Kunststoffverpackungen seit Januar 2023 in gelben Tonnen gesammelt und die Sammlungen von Metallverpackungen soll ab 2025 vereinheitlicht werden.
Wie viele Tonnen machen die gefährlichen Abfälle in der Medizin aus und wie werden diese behandelt?
Der aktuelle österreichische Statusbericht spricht 2021 von über 50.260 t medizinischen Abfällen, davonsind 1.140 t gefährlicher Abfall nach SN 97101 (Abfälle, die innerhalb und außerhalb des medizinischen Bereichs eine Gefahr darstellen können) und SN 97108 (diverse medizinische Abfälle – gefährlich kontaminiert). Verglichen zum Jahr 2019 ist dies ein Anstieg von 28 Prozent. Die Behandlung medizinischer Abfälle ist in Österreich durch die ÖNORMS 2104 und die Abfallbehandlungspflichtenverordnung geregelt. Die Abfälle werden zumeist thermisch behandelt, was Einfluss auf den CO2-Fußabdruck unseres Gesundheitssektors hat.
Welche (medizinischen) Abfälle können in Österreich recycelt werden?
Auch in medizinischen Einrichtungen können Papier-, Papp-, Glas-, Metall- und Kunststoffabfälle recycelt werden. Voraussetzung dafür ist ein einheitliches, einfaches und strukturiertes Trennkonzept in den Gesundheitseinrichtungen. Eine getrennte Entsorgung von Abfällen ist bereits in den meisten Gesundheitseinrichtungen etabliert. Es gibt jedoch noch Potenzial, diese Systeme zu verbessern. So können mehrsprachige, farbcodierte und mit Icons versehene Sammelbehälter Fehlwürfe durch Personal, Patientinnen und Patienten sowie Besucherinnen und Besucher vermieden werden.
Medizinische Einrichtungen sind ab 20 Mitarbeitenden verpflichtet, ein Abfallwirtschaftskonzept (AWK) zu erstellen. Dieses muss unter anderem Angaben zur Einrichtung, eine verfahrensbezogene sowie abfallrelevante Darstellung des Betriebs, organisatorische Vorkehrungen zur Einhaltung abfallwirtschaftlicher Rechtsvorschriften und eine Abschätzung der zukünftigen Entwicklung enthalten. Das Abfallwirtschaftskonzept ist bei einer wesentlichen abfallrelevanten Änderung der Anlage, jedoch mindestens alle sieben Jahre entsprechend anzupassen. Medizinische Einrichtungen, die am EMAS-System teilnehmen, müssen kein gesondertes AWK erstellen. Hier gilt eine gültige Umwelterklärung als AWK.
Welche Maßnahmen empfehlen Sie Kliniken, um ihr Abfallaufkommen zu reduzieren?
- Auf Mehrwegprodukte umsteigen
- Wiederverwendung und Aufbereitung von Medizinprodukten
- Wiederaufbereitung von medizintechnischen Großgeräten und Medizinprodukten
- Reduktion von Einmalwäsche
- Reduktion des Papierverbrauchs durch Digitalisierung
- Reduktion von Arzneimittelabfällen
- Installation fachlich qualifizierter Abfallbeauftragter
- Sensibilisierung der Mitarbeitenden
Abfallmanagement – Deutschland vs. Österreich
Welche Unterschiede sehen Sie im Bereich Abfalltrennung zwischen Deutschland und Österreich?
Ähnlich wie in Österreich ist auch die Abfalltrennung in Deutschland dezentralisiert aufgebaut. So gibt auch in Deutschland der Bund die einheitlichen Rahmenbedingungen vor und Details des Vollzugs als auch der Sammlung werden auf Ebene der Länder und Kommunen geregelt. In Sachen Recycling gehören beide Länder zu den EU-Spitzenreitern: Mit einem recyclingfähigen Anteil von 62,3 Prozent der Siedlungsabfälle liegt Österreich jedoch noch ein wenig hinter Deutschland. Hier liegt die Verwertungsquote bei 67 Prozent.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quellen
- Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2023 Teil 1
- Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Richtig sammeln und trennen
- Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus: Abfall Trenn-ABC
- Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Die Bestandsaufnahme der Abfallwirtschaft in Österreich - Statusbericht 2023 für das Referenzjahr 2021
- Umweltbundesamt: Abfallrecht
- Europäisches Parlament: Abfallwirtschaft in der EU Zahlen und Fakten
- Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Branchenkonzept für medizinische Abfälle und Labor
- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Abfallwirtschaft in Deutschland 2023 – Fakten, Daten, Grafiken