Nachhaltigkeit wird im Krankenhaus immer mehr zu einem ganzheitlichen Thema, weshalb immer mehr Kliniken verschiedene Bereiche – wie das Abfallmanagement, Patientenversorgung, Einkauf – und auch ganze Abteilungen umstrukturieren. Als Referentin für Nachhaltigkeit kümmert sich Dr. Martha Groth um die Etablierung solcher nachhaltigen Strukturen im gesamten Krankenhaus. Das schließt auch das Labor ein, was für die Ärztin lange Zeit eine große Blackbox war. Im Interview erzählt sie uns, wie Nachhaltigkeitsmaßnahmen geplant und umgesetzt werden, warum das viel Zeit in Anspruch nimmt und warum gerade Labore großes Potenzial für die Einsparung von Abfällen und Ressourcen bieten.
Zur Person: Dr. Martha Groth
- seit 2022 Referentin für Nachhaltigkeit am Luisenhospital Aachen
- seit 2021 Ärztin am Luisenhospital Aachen
- 2014 – 2021 Assistenzärztin am Rhein-Maas-Klinikum Aachen
- 2012 – 2015 Promotion an der RWTH Aachen
- 2007 – 2014 Studium der Medizin an der RWTH Aachen
Frau Dr. Groth, Sie sind Ärztin am Luisenhospital Aachen und zudem Referentin für Nachhaltigkeit. Was gehört zu Ihren Aufgaben?
Meine Stelle ist zweigeteilt: Die Hälfte meiner Zeit übernehme ich eine Stelle als Ärztin, zur anderen Hälfte widme ich mich als Referentin all den Themen, die unsere Einrichtung nachhaltiger aufstellen sollen. Ich bin daher immer auf der Suche nach Bereichen, die optimiert werden können und versuche – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus den jeweiligen Abteilungen – Lösungen zu erarbeiten und Abläufe nachhaltiger zu gestalten. Bevor ich Nachhaltigkeitsreferentin wurde, habe ich mich in unterschiedlichen Gruppen – Health for Future sowie der Zero Emission Hospital Arbeitsgruppe Aachen – für unterschiedliche Nachhaltigkeitsprojekte eingesetzt. Um diese Projekte aber wirklich voranzutreiben, hat mir schlicht die Zeit gefehlt. Jetzt, da meine Stelle als Nachhaltigkeitsreferentin durch den Förderverein sowie den Krankenhausträger finanziert wird, habe ich ganz andere Möglichkeiten.
Wie lassen sich die Hebel für Nachhaltigkeit in Bewegung setzen? Welche Rolle spielt dabei die Kommunikation mit den unterschiedlichen, am Prozess beteiligten Abteilungen?
Die Hebel für Nachhaltigkeit im Klinikalltag heißen Kommunikation und Hartnäckigkeit. Findet man einen Bereich, in dem Ressourcen eingespart, Abfälle reduziert oder recycelt werden können, heißt das noch lange nicht, dass Maßnahmen direkt funktionieren. Diese müssen zu den Bedürfnissen einer Abteilung passen und im Alltag umsetzbar sein. Zudem kann es auch dauern, bestimmte Maßnahmen umzusetzen. Um ein Projekt ins Rollen zu bringen, muss ich zunächst alle notwendigen Parteien mit ins Boot holen. Für das Thema Recycling im OP wären das zum Beispiel unser Abfallbeauftragter, der Abhol- und Bringe-Dienst sowie Vertretende aus die Anästhesie, dem medizinischen Fachpersonal sowie die jeweiligen Ärztinnen und Ärzte.
An der Entscheidungsfindung für eine neue Nachhaltigkeitsmaßnahme sowie deren Umsetzung bin also nicht nur ich, sondern eine ganze Reihe anderer Personen beteiligt. In unserem Haus gibt es deshalb auch keine turnusmäßigen Treffen in irgendwelchen Konstellationen, sondern wir bilden projektbezogene Arbeitsgruppen. Mit Projekten im Bereich Nachhaltigkeit bringen wir so Vertreter aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, überlegen und optimieren gemeinsam – das motiviert natürlich auch die Kolleginnen und Kollegen, die Maßnahmen umzusetzen. Großer Vorteil unseres mit 380 Betten eher kleinen Hauses: Unsere Kommunikationswege sind recht kurz, weshalb wir Maßnahmen schnell anstoßen können.
Gibt es vielleicht auch Bereiche, in denen eine Maßnahme nicht geklappt hat oder länger braucht, bis wirkliche Maßnahmen etabliert werden konnten?
Maßnahmen direkt umzusetzen, klappt nur in den seltensten Fällen. Ein Krankenhaus nachhaltig auszurichten, ist ein Prozess, der viel Zeit in Anspruch nimmt. Auch wenn die Kommunikationswege bei uns relativ kurz sind, braucht es Zeit, zusammen mit Beteiligten verschiedener Abteilungen, Entscheidungsträgern sowie externen Dienstleistern neue nachhaltige Strukturen umzusetzen. Wir haben beispielsweise im letzten Jahr angefangen, in den ersten Abteilungen eine vernünftige Trennung von Plastikabfällen zu etablieren. Dann sind wir aber sozusagen erstmal daran gescheitert, die Abholung der gelben Tonnen von unserem Hinterhof zu organisieren. Das zu organisieren, hat uns viel Zeit gekostet, aber seit April dieses Jahres können die Tonnen nun endlich abgeholt werden. Ein großes Problem war hier der Platz, denn gerade im Anlieferungsbereich konkurrieren die Warenannahme und -abholung mit der Abfallwirtschaft. Nachdem die ersten Abholungen aber gut funktioniert haben, konnten wir unsere Klinikleitung davon überzeugen, uns einige der Parkplätze für die Bereitstellung der Tonnen zur Verfügung zu stellen.
Jetzt arbeiten wir im nächsten Schritt daran, die separate Trennung der Plastikabfälle erst in Labor und Apotheke und später im gesamten Luisenhospital zu etablieren. Problematisch ist allerdings, dass ähnlich wie auf unserem Hof in den einzelnen Bereichen erstmal Platz dafür geschaffen werden muss. Gerade im Labor und den OP-Sälen ist der Platz eng bemessen. Wir sehen hier aber viel Einsparpotenzial, denn in diesen Bereichen entstehen mit die meisten Verpackungsabfälle. Jetzt brauchen wir nur noch eine platzsparende und arbeitsfreundliche Lösung.
Abfallmanagement im Luisenhospital
Wichtig für die richtige Abfallentsorgung sind im medizinischen Bereich und damit auch im Labor die Entsorgung gemäß der richtigen Abfallschlüssel. Wie setzen Sie dies um?
Wir haben einen hausinternen Abfallbeauftragten, der uns Mitarbeitende bezüglich der richtigen Entsorgung mit einem Abfalltrennungsplan sowie Dienstanweisungen informiert. Darin werden die jeweils notwendigen Abfallarten bzw. -schlüssel für bestimmte Bereiche und deren notwendige Entsorgungsmaßnahmen genau beschrieben. Es gibt beispielsweise Anweisungen zur Entsorgung organischer Stoffe oder auch spezielle Hinweise im Labor zur Entsorgung von Färbelösungen, welche in Kanistern gesammelt werden müssen und nicht über das normale Abwasser entsorgt werden dürfen. Zusätzlich zu den Anweisungen finden auch Überprüfungen der Entsorgungsmaßnahmen im Rahmen von Begehungen statt. Diese werden entweder bei Bedarf durchgeführt – wie z. B. bei der bereits angesprochen Etablierung der Trennung der Plastikabfälle – oder im Rahmen der Arbeitsschutzbegehung, die mindestens einmal im Jahr durchgeführt werden muss.
Laborspezifische Abfälle
Sie haben gerade speziell die Laborabfälle angesprochen. Welche Abfälle kommen im Labor normalerweise vor? Und wie entsorgen Sie diese?
Neben den alltäglichen Abfällen, wie beispielsweise Plastik- oder Papierverpackungen, gibt es natürlich Abfälle, die speziell entsorgt werden müssen. Es fallen mitunter auch Gefahrstoffe an, bei denen besondere Sicherheitsmaßnahmen notwendig sind. Hier arbeiten wir mit besonders hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Je nach Art der Abfälle gibt es bestimmte Behandlungs- und Entsorgungsmaßnahmen. Diese sind von der Herkunft der potenziell gefährlichen Stoffe sowie deren Zusammensetzung abhängig. Neben Chemikalien, die je nach Gefährlichkeit nach AS 18 01 06* oder AS 18 01 07 entsorgt werden müssen, können auch scharfe Gegenstände, pathologische sowie infektiöse Abfälle im Labor anfallen und müssen entsprechend entsorgt werden. Je nach Größe des Labors lohnen sich unterschiedliche Recyclingmaßnahmen. Gerade für kleine Labore wie in unserem Haus rentiert sich die separate Sammlung von bestimmten Einmalinstrumenten beispielsweise aber leider nicht – hier haben größere oder externe Labore oft einen klaren Vorteil.
Nachhaltigkeit im Labor umsetzen
Wir haben bereits über Ihre generelle Arbeit gesprochen, wo befindet sich die Schnittstelle zum Labor? Wie arbeiten Sie mit den Kollegen und Kolleginnen im Labor zusammen?
Als Ärztin sind meine Schnittstellen zum Labor relativ gering. Ich gebe meine Proben zur Untersuchung am Eingang des Labors ab und das war es dann eigentlich. Das Labor war für mich eine Blackbox. Ehrlich gesagt, habe ich es in meinen Überlegungen auch lange außen vor gelassen und mich erst intensiv mit diesen Möglichkeiten auseinandergesetzt, als die Einladung zum Laborforum ins Haus flatterte. Daraufhin habe ich mich mit unserer Laborleitung zusammengesetzt und über mögliche Einsparungspotenziale gesprochen. Auf Basis dieses Austausches haben wir eine Liste von Maßnahmen erstellt, die wir nun nach und nach umsetzen oder bereits umgesetzt haben.
Ein großer Ansatzpunkt für mehr Nachhaltigkeit ist das Bestellwesen. In vielen Krankenhäusern ist es so, dass Bestellungen erst am Vortag gemacht werden – so war es bei uns auch. Plant man aber langfristiger und bestellt bestimmte Dinge bereits vorab in größeren Mengen, spart man Verpackungsabfälle, CO2-Emissionen und am Ende teilweise sogar noch Kosten. Mir ist aber klar, dass dies nicht in allen Kliniken umsetzbar ist – allein schon aufgrund fehlender Lagerkapazitäten. Unser Labor fühlt sich in diesem Bereich mittlerweile gut aufgestellt und hat Bestellroutinen entwickelt, die zu den eigenen Arbeitsabläufen passen. Auch mit dem Thema Abfall sind wir im Labor in vielen Bereichen zufrieden. Nur die Entsorgung der Plastikabfälle steckt aktuell noch in der Optimierungsphase.
Welche Möglichkeiten gibt es, um sich als Labor – gerade auch als Krankenhauslabor – nachhaltig aufzustellen? Gibt es vielleicht auch Bereiche, in denen sich das schwieriger gestaltet?
Es gibt auf jeden Fall einige Möglichkeiten, allerdings muss man sich als Klinik auch immer fragen, was im eigenen Haus wirklich umsetzbar ist. Ich habe auf unterschiedlichen Veranstaltungen bisher von vielen interessanten Projekten – wie der Aufbereitung von Pipettenspitzen, dem Recycling von Umverpackungen oder der verstärkten Nutzung von Lösungskonzentraten – gehört. Diese Projekte haben durchaus Potenzial für eine nachhaltige Labor- bzw. Kliniklandschaft, lassen sich aber bei uns aufgrund geringer Nutzungszahlen oder baulicher Maßnahmen nicht umsetzen. Da muss man als Haus abwägen, was wirklich machbar ist.
Eine einfacher umzusetzende Maßnahme ist da die Digitalisierung der Arbeitsabläufe und auch das Netzwerken untereinander kann eine Hilfe sein, Ideen für das eigene Krankenhaus zu sammeln. Wir transportieren mittlerweile beispielsweise Laborproben nicht mehr in Plastiktüten, sondern in abwaschbaren Nierenschalen oder Plastikboxen.Seit einigen Monaten haben wir die Nachmeldung eines Laborparameter ermöglicht (Procalatonin). Es sieht so aus, dass hierdurch die Anzahl an Anforderungen, die „sicherheitshalber mal mitgemacht wurden“, um fast 50 Prozent reduziert werden konnten. Das zeigt: Änderungen in den Abläufen haben großes Potenzial.
Sie haben eine Liste mit Maßnahmen angesprochen, mit denen man sich als Labor nachhaltig aufstellenkann. Würden Sie uns diese Maßnahmen nochmal prägnant zusammenfassen?
- Lieferungen bündeln, um Fahrten zu vermeiden, und Lagerkapazitäten (falls vorhanden) bestmöglich nutzen
- Alle Verpackungen auf Materialreduktion und -umstellungsmöglichkeiten (Papier vs. Plastik) überprüfen
- Systeme für Pipettenspitzen nutzen, die weniger Plastikmüll produzieren und ein Recycling anbieten
- Laboranforderungen hinterfragen und digitale Pop-ups etablieren
- Produkte entwickeln, die die Erfordernisse der zirkulären Kreislaufwirtschaft berücksichtigen
- Wenn praktisch und ökonomisch umsetzbar, Konzentrate nutzen
- Reparaturleistungen digital ermöglichen, um Fahrten der Technikerinnen bzw. Techniker einzusparen
- Bei Dienstreisen nachhaltige Mobilität bevorzugen und ggf. digitale Treffen durchführen
- Elektrische Geräte im Labor auf Energieeffizienz überprüfen und ggf. austauschen, z. B. Kühlschränke
- Strombezug auf erneuerbare Energien umstellen
- Lieferketten überprüfen
- Laborausdrucke abschaffen – Digitalisierung!
- Arbeitsgemeinschaft „Nachhaltigkeit im Labor“ initiieren und Positionspapier mit Handlungsempfehlungen etablieren
- Netzwerken – z. B. über KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit oder ZUKE Green und den Austausch zwischen Industrie und Praxis zum Thema Nachhaltigkeit intensivieren
- Nachhaltigkeitsbeauftrage für das Labor benennen
Eigene Produkte für eine zirkuläre Kreislaufwirtschaft entwickeln
Im Rahmen des Laborforums in Bochum haben Sie über die Entwicklung von eigenen Produkten für eine zirkuläre Kreisabfallwirtschaft sowie deren Förderung gesprochen. Können Sie uns Beispiele dafür nennen? Welche Möglichkeiten haben Labore und medizinische Einrichtungen?
Tatsächlich habe ich mich Anfang Mai das erste Mal näher mit diesem Thema auseinandergesetzt und einen Förderantrag eingereicht. In unserem Haus wird Kommunikation im Bereich Nachhaltigkeit großgeschrieben. Es kommt daher nicht selten vor, dass Kolleginnen oder Kollegen mit einem konkreten Anliegen auf mich zukommen, wie wir beispielsweise Abfälle zu reduzieren, Ressourcen einzusparen oder nachhaltigere Alternativen nutzen können. Mit einem solchen Anliegen kam auch eine Kollegin aus der Hygiene auf mich zu: Sie wollte die vorhandenen Seifenspender mit den 1-Liter-Flaschen gegen kleinere Exemplare oder Stückseife austauschen. Denn der Inhalt der großen Flaschen konnte in vielen Bereichen nie vollständig aufgebraucht werden, bevor die Flaschen nach 6 Monaten aufgrund einer möglichen Besiedlung entsorgt werden müssen. Mit dem Rückgriff auf Stückseife könnten wir zum einen Abfälle reduzieren, unsere Ökobilanz verbessern und Kosten einsparen. Bei der Recherche habe ich allerdings keine adäquate Lösung gefunden.
Wir haben uns deshalb mit der Uniklinik Aachen zusammengeschlossen und sind mit einem Hersteller in Kontakt getreten, um ein entsprechendes Produkt zu entwickeln. Dabei wird es sich um eine Seife handeln, die man mithilfe einer Raspel-Armatur nutzen können wird. Hat man eine Idee,im Klinikalltag – unabhängig davon, ob es sich um Arbeiten im Labor, der Forschung oder der Patientenversorgung handelt – Ressourcen zu sparen, sollte man den Mut haben, eigene Lösungen zu entwickeln. Es gibt unterschiedliche Förderprogramme z.B. von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt oder man kann konkret auf Hersteller oder Entsorger zugehen, um Produkte bzw. Lösungen zu entwickeln. Diese sind in der Regel dankbar fürUnterstützung und Erfahrungen aus der Praxis.
Nachhaltige Lösungen für die Zukunft der Gesundheitsversorgung
Was muss zukünftig passieren, um sowohl Kliniken als auch Labore möglichst nachhaltig auszurichten?
Nachhaltigkeit steht und fällt mit richtiger Kommunikation. Ideen, wie die Umstellung zu wiederverwendbaren Medikamentenbechern, der Wechsel zu einem erneuerbaren Energieversorger oder auch die Trennung von Kunststoffabfällen, sind zwar gut, können aber nur umgesetzt werden, wenn zwischen allen Beteiligten richtig kommuniziert wird. Zudem ist auch das Netzwerken mit anderen Kliniken in diesem Punkt Gold wert. Mittlerweile gibt es auch zahlreiche Plattformen wie ZUKE Green oder KLUG, die Nachhaltigkeitsbeauftragte, Klimamanagerinnen und Klimamanager sowie Abfallbeauftragte zusammenbringen und gemeinsam Projekte für mehr Nachhaltigkeit entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch!