Erkenntnisse aus der Pandemie Krankenhaushygiene in Krisenzeiten

Hygienesicherheit für PatientInnen und Personal: Welche Präventivmaßnahmen können Krankenhäuser ergreifen? (Foto: Kath. Marienkrankenhaus Hamburg)
Hygienesicherheit für PatientInnen und Personal: Welche Präventivmaßnahmen können Krankenhäuser ergreifen? (Foto: Kath. Marienkrankenhaus Hamburg)

Klimawandel, Pandemien und Kriege: Wie in Krisenzeiten die Gesundheitsversorgung aufrechterhalten werden kann und welche Rolle die Hygiene in Kliniken dabei spielt, war Schwerpunkt des Kongresses, den die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene zusammen mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr und anderen Partnern Anfang Februar in Berlin veranstaltet hat. Denn um sich für künftige Herausforderungen, wie weitere Pandemien oder das postantibiotische Zeitalter, zu wappnen, heißt es, aus bisherigen Krisen zu lernen.

Aktuell stehen auch die Gesundheitssysteme in Deutschland, Europa und der ganzen Welt vor neuen Herausforderungen. In dieser krisengeschüttelten Zeit spielt die Hygiene eine maßgebliche Rolle im Hinblick auf die Versorgungssicherheit. Das hat zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt, in der gängige Hygienemaßnahmen überdacht wurden und neue auf den Prüfstand gelangten. Auch die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal hat offenbart, wie wichtig eine intakte, kritische Infrastruktur ist. Ist sie nicht vorhanden, steigt die Seuchengefahr – wie derzeit in der Türkei und Syrien, wo es nach dem verheerenden Erdbeben an mobilen Toiletten, sanitären Einrichtungen und fließendem Wasser mangelt und das Risiko von Erkrankungen durch Kolibakterien, Typhus oder Diphtherie allgegenwärtig ist.

Vor diesem Hintergrund initiierte die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr, dem Verbund für Angewandte Hygiene (VAH), der Gesellschaft für Hygiene, Umwelt- und Präventivmedizin (GHUP), Hilfsorganisationen und staatlichen Institutionen im Februar dieses Jahres einen Kongress unter dem Titel „Hygiene in Zeiten von Klimawandel, Pandemien, Naturkatastrophen und Kriegen“.

„Wir müssen jetzt aus den Erfahrungen der Pandemie lernen“, sagte Prof. Dr. Dr. Martin Exner, Präsident der DGKH, in seiner Eröffnungsansprache. „Was wir brauchen, sind krisensichere Lösungen.“ Das gelte auch und gerade für die Krankenhaushygiene. Der Kongress solle als Auftakt zur Reflexion und Neugestaltung der Vorsorge bei Pandemien betrachtet werden. Denn: „Wer für die Zukunft gerüstet sein will, der muss aus der Vergangenheit lernen. Grundsätzlich lohnt es sich, der Prävention einen hohen Stellenwert einzuräumen“, unterstrich Prof. Dr. Dr. Lothar Wieler, ehemaliger Präsident des Robert Koch-Instituts.

Lehren aus der Pandemie für das Abfallmanagement ziehen

Über Erfahrungen und Konsequenzen aus der Corona-Pandemie für den ambulanten Sektor sprach Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Hauptproblem sei der Mangel an Schutzausrüstungen gewesen. Dem müsse künftig durch eine bessere Bevorratung und Verteilung begegnet werden. Verbesserungspotenzial sieht der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie auch bei der Krisenkommunikation des Bundes. Schutzkonzepte müssten unter Einbindung ärztlicher Expertise erarbeitet werden, die Regelversorgung dürfe dabei nicht aus dem Blick verloren werden. Bürokratie müsse abgebaut, die Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes geklärt werden.

Die Pandemie habe außerdem deutlich gemacht, was eine sinnvolle Digitalisierung des Gesundheitswesens zu leisten vermag: Videosprechstunden, die bis zum Corona-Ausbruch nur schleppend vorankamen, hielten vielerorts die medizinische Versorgung aufrecht. Um diesen Schwung nicht zu verlieren, müssten interoperable Schnittstellen, beispielsweise zwischen Praxis-, Labor- und Krankenhausinformationssystemen geschaffen werden, damit der Datentransfer zwischen den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen lückenlos und sicher erfolgen kann.

Auch im stationären Sektor hatten die Leistungserbringer mit Mangel an allem Notwendigen zu kämpfen: dem Mangel an Schutzkleidung, an Masken, an Desinfektionsmitteln und dem Personalmangel. Das schilderte Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft. Dies resultierte zum einen aus mangelnder Vorsorge auf nationaler Ebene, aber auch daraus, dass im Fallpauschalensystem Vorhaltekosten nicht abgedeckt seien, die Krankenhäuser sich eine „Notfallreserve“ deshalb schlichtweg nicht leisten könnten.

Eine Lehre aus der Corona-Pandemie sei, dass zur Vorbereitung auf künftige Pandemien aktuelle Hygienekonzepte umfassend überarbeitet werden müssten, sagte Prof. Dr. Johannes K.-M. Knobloch, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Schutzkonzepte müssten auf die Erreger zugeschnitten werden. Dafür müsse man ihre Übertragungswege genau kennen. Während der Corona-Pandemie waren dies die Aerosole in der Atemluft der Infizierten. Bei anderen Erregern könnten jedoch ganz andere Infektionsketten ablaufen, etwa über Schmierinfektionen.

Hygiene- und Abfallmanagement gehören untrennbar zusammen

Ein weiterer Aspekt wurde sehr deutlich: Zum Hygienemanagement gehört immer auch das Abfallmanagement. Die korrekte Entsorgung der Abfälle aus Krankenhäusern und Arztpraxen war zeitweise genauso schwierig, wie die Beschaffung der Schutzausrüstung. Anfangs war nicht klar, wie infektiös der Müll von COVID-19-Patientinnen und -Patienten ist.

In ihren Entsorgungsleitlinien riet die EU deshalb zur Vorsicht: Wertstoffe, Verpackungen, Bioabfälle sowie Materialien, die zum Abdecken von Mund oder Nase verwendet wurden, sollten in der Restmülltonne entsorgt werden. Dazu zählten Taschentücher, Aufwischtücher, Einwegwäsche, Hygieneartikel und Schutzkleidung, die auch bei einer Behandlung zu Hause getrennt gesammelt und in Mülltüten verschlossen werden sollten. In den Krankenhäusern sollten in den Patientenzimmern gesonderte Abfallbehälter stehen, in denen die Abfälle der Infizierten ebenso gesammelt werden sollten wie die Schutzkleidung oder die Handschuhe der Behandler.

Flexibilität und Erfindungsreichtum waren auch bei der Bereitstellung von medizinischen Sonderabfallbehältern gefragt: So wurden beispielsweise Deckel-Behälter-Farben kombiniert, die vom üblichen Farbleitsystem der Kliniken abwichen. Das machte ein sehr enges Zusammenspiel der Abfallbeauftragten mit dem medizinischen Personal erforderlich, um Fehlabwürfe zu vermeiden. Viele Krankenhäuser mussten kurzzeitig infektiöse Abfälle kühlen und einlagern, da die Entsorger das erhöhte Aufkommen medizinischer Abfälle zunächst koordinieren mussten.

Die Gefahr von Zoonosen steigt

Unbestritten ist, dass unsere Gesellschaft in Zukunft von weiteren Pandemien oder anderen Katastrophen heimgesucht werden wird. Unter anderem steigt mit der zunehmenden Verbreitung von Tieren aus wärmeren Gefilden in unseren Breiten, etwa der Tigermücke und der Riesenzecke, die Gefahr von Zoonosen –Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen und umgekehrt überspringen können.

Dr. Andreas Krüger vom Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz verwies in seinem Vortrag auf das Westnil-Fieber, das von Mücken übertragen in Griechenland zwischen 2010 und 2012 zahlreiche Todesopfer forderte. Ein anderes Beispiel ist die Dirofilariose, ein Befall mit Larven des Hundeherzwurms oder anderen Dirofilaria-Spezies, die sich Anfang der Nullerjahre in der Ukraine ausgebreitet hat. „Nicht der Klimawandel allein, sondern auch Mobilität und Globalisierung sind treibende Faktoren für die Ausbreitung und Verschleppung von Vektoren und Erregern“, sagte Krüger.

Antibiotikaresistenzen: Die stille Pandemie

Neben neuen Infektionskrankheiten stellen auch zunehmende Antibiotikaresistenzen (antimikrobielle Resistenzen, AMR) Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen vor große Herausforderungen. Ein „postantibiotisches Zeitalter“ wirft seine Schatten voraus, in dem Keime noch gegen die letzten Reserveantibiotika resistent geworden sind. Dr. Peter Walger, Mitglied im DGKH-Vorstand, sprach von einer „stillen Pandemie“.

2016 legte Jim O’Neill, früherer Chefvolkswirt bei Goldman Sachs, seinen Bericht über die globale Bedrohung durch AMR vor. Darin prognostizierte er zehn Millionen Todesfälle durch AMR im Jahr 2050, wenn die Welt keine umfassenden Gegenmaßnahmen ergreife. Die Anfang 2022 in „The Lancet“ veröffentlichte „Global Burden of Disease Study“ kommt zu dem Schluss, dass AMR weltweit zu den häufigsten Todesursachen gehören. Geschätzte 1,27 Millionen Menschen sind im Jahr 2019 daran gestorben.

Dazu kommen 4,95 Millionen Todesfälle, an denen Antibiotikaresistenzen beteiligt gewesen sein könnten. Die meisten Todesopfer forderten AMR in Subsahara-Afrika und in Südasien mit 24 beziehungsweise 22 Todesfällen pro 100.000 Einwohner. In Ländern mit hohem Einkommen lag dieser Wert hingegen bei 13.

Krankenhausinfektionen müssen eingedämmt werden

Jährlich fangen sich in Deutschland 400.000 bis 600.000 Menschen eine Krankenhausinfektion ein, auch nosokomiale Infektion genannt. Das sind Infektionen, die in medizinischen Einrichtungen, beispielsweise durch Bakterien, Viren oder Pilze, ausgelöst werden. Das RKI schätzt, dass jährlich bis zu 20.000 Menschen daran sterben. Vor diesem Hintergrund betont die Deutsche Krankenhausgesellschaft, dass es eine Kernaufgabe aller Mitarbeitenden eines Krankenhauses sei, sich an Hygienevorgaben zu halten und sie umzusetzen. Dazu gehören die Leitlinien, die die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) des RKI entwickelt und im „Epidemiologischen Bulletin“ oder im „Bundesgesundheitsblatt“ veröffentlicht.

Gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) obliegt es den Leitenden von Gesundheitseinrichtungen sicherzustellen, „dass die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um nosokomiale Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern, insbesondere solcher mit Resistenzen, zu vermeiden“. Unterstützt werden sie dabei von Krankenhaushygienikern, hygienebeauftragten Ärztinnen und Ärzten, Hygienefachkräften und Hygienebeauftragten in der Pflege.

Das IfSG ist auch die gesetzliche Grundlage für die Hygieneverordnungen der einzelnen Bundesländer. Diese enthalten beispielsweise Vorgaben zu Fachpersonal, Hygieneplänen, epidemiologischer Überwachung, Schulung und Fortbildung der Krankenhausangestellten.

Damit die Krankenhäuser das für die Hygiene zuständige Fachpersonal aufstocken können, richtete das Bundesgesundheitsministerium (BMG) 2013 ein Hygieneförderprogramm ein, über das zusätzliches Personal, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie Beratungsleistungen finanziert werden können. Ende 2022 verlängerte das BMG das Hygieneförderprogramm als Infektiologieförderprogramm um weitere drei Jahre.

Digitale Entsorgungslösungen senken Infektionsrate

Am Helios Hanseklinikum Stralsund etwa hat der Chefarzt für Klinische Hygiene und Infektiologie Dr. Ingo Klempien mit seinem Team HELICOPH (HELios Interne Compliance OPtimierung Händehygiene) entwickelt. Damit kann das Klinikum erfassen, wann und wie oft die Mitarbeitenden ihre Hände desinfizieren. Dafür ist an den Desinfektionsmittelspendern im Klinikum ein Sender platziert. In den Namensschildern der Mitarbeitenden befindet sich ein Display mit Empfänger.

Desinfiziert sich ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin die Hände, wird automatisch ein Funksignal übertragen. So kann jede Händedesinfektion in Echtzeit gemessen und ausgewertet werden. Innerhalb von 30 Sekunden – der empfohlenen Dauer einer Händedesinfektion – erscheint auf dem Namensschild ein animierter Smiley. So erhält der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin unmittelbar ein positives Feedback und kann am Ende des Arbeitstages sehen, wie oft er oder sie sich die Hände desinfiziert hat. Gleichzeitig kann das Krankenhaus messen, wie viel Desinfektionsmittel verbraucht wird, und diese Zahlen direkt mit dem Antibiotikaverbrauch und der Infektionsrate vergleichen.

„Die Ergebnisse der motivierenden Hygienelösung auf der Intensivstation sind außerordentlich positiv“, sagt Klempien. Dort ist HELICOPH seit Dezember 2018 im Einsatz. Die Anzahl der Händedesinfektionen ist seitdem um 43 Prozent, von 44 pro Patient und Tag auf 62 gestiegen. Gleichzeitig sank die Zahl der nosokomialen Erregerfälle um 21 Prozent, von 34 auf 27. Als direkte Folge konnten die Antibiotika-Gabe und die Verweildauer reduziert werden. HELICOPH wird deshalb im ganzen Klinikum ausgerollt. Der Startschuss fiel im vergangenen Jahr in der Altersmedizin, Gastroenterologie, Neurologie und Hals-Nasen-Ohrenmedizin.

Prävention für ein stabileres Gesundheitssystem

Eins hat der Hygiene-Kongress in Berlin klar vor Augen geführt: Um für die Zukunft gut gerüstet zu sein und auch in Krisenzeiten eine verlässliche Gesundheitsversorgung gewährleisten zu können, bleibt noch viel zu tun – auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Um den Gesundheitsschutz für die Bürgerinnen und Bürger zu stärken, möchte die Europäische Union eine Gesundheitsunion aus widerstandsfähigeren Gesundheitssystemen aufbauen.

Mit ihrer Verordnung zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren will sie unter anderem eine solide Vorsorgeplanung und ein europaweites Überwachungssystem installieren. Außerdem will sie ein Europäisches Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten aufbauen, das ein neues Exzellenznetz von EU-Referenzlaboratorien sowie eine EU-Gesundheits-Taskforce für schnelle Eingriffe im Falle eines schweren Ausbruchs schaffen soll. Denn: Nach der Krise ist vor der Krise.

Quellen

Hygienesicherheit für PatientInnen und Personal: Welche Präventivmaßnahmen können Krankenhäuser ergreifen? (Foto: Kath. Marienkrankenhaus Hamburg)
Hygienesicherheit für PatientInnen und Personal: Welche Präventivmaßnahmen können Krankenhäuser ergreifen? (Foto: Kath. Marienkrankenhaus Hamburg)