Ein in die Jahre gekommenes Entsorgungssystem mit 1.200 Abfallbehältern, für die insgesamt 15 Entsorgungsfirmen im Einsatz waren. Das war die Situation, die Michael Schmitz vorfand, als er 2018 das Entsorgungsmanagement im Universitätsklinikum Bonn (UKB) übernahm. Er stand vor einer operativen, logistischen und finanziellen Herausforderung. Mit 1.300 Patientenbetten und über 8.000 Mitarbeitern fielen allein im Jahr 2018 am UKB mehr als 6.300 Tonnen Abfall pro Jahr an, die rechtskonform und wirtschaftlich sinnvoll entsorgt werden müssen.
Nun, zwei Jahre nach der Übernahme Schmitz, ist „Grün, smart und nachhaltig“ die Devise am UKB. Dank neuester Technologie wurde das gesamte Abfallmanagement auf eine neue Stufe gestellt. Bundesweit bislang einzigartig setzt das Haus in Kooperation mit einem Technologieunternehmen auf eine Branchenlösung, die das Abfallmanagement nahezu komplett digitalisiert hat.
Der Einsatz verschiedener digitaler Tools beim Thema Entsorgung hat sich für das UKB bereits nach kurzem Einsatz gelohnt: Der Sortier- und Verwaltungsaufwand wurde minimiert, höhere Erlöse bei Wertstoffen erzielt und Abfall vermieden. Zudem sind zeitintensive Verwaltungsaufgaben, wie die Abrechnung und das Reporting nun lückenlos nachvollziehbar in einer Software gebündelt. Wir haben mit Michael Schmitz über seine Mammutaufgabe in der Abfallentsorgung gesprochen und viele spannende Einblicke erhalten, wie die Abfallentsorgung der Zukunft aussehen könnte.
Zur Person: Michael Schmitz
- seit 1994 in verschiedenen leitenden Positionen in der Logistik
- von 2001 bis 2004 Sales-Management in Spanien
- seit 2008 verschiedene leitende Tätigkeiten in der Recycling und Entsorgungsbranche
- seit 2017 am Universitätsklinikum Bonn
- 2018 Sachgebietsleitung Entsorgung und Umzugsmanagement sowie Fortbildung zum Abfallbeauftragten
- 2019 Qualifikation zum Umweltschutzbeauftragten
- 2020 Abschluss zum geprüften Umweltmanager
Sehr geehrter Herr Schmitz, Sie haben sich das Thema „Nachhaltiges Abfallmanagement“ auf die Fahne geschrieben. Im Oktober 2018 haben Sie die Leitung des Fachbereiches angetreten. Wie hat sich das Entsorgungssystem am UKB verändert und was konnte bereits umgesetzt werden?
Michael Schmitz: Die erste Frage würde ich gerne ausführlich erläutern, um unsere Intention am Universitätsklinikum Bonn im Bereich Klimaschutz zu verdeutlichen. Nachhaltigkeit hat sich bei uns zu einem zentralen Schlüsselthema entwickelt. Eigens dazu haben wir vor geraumer Zeit am Universitätsklinikum Bonn ein Nachhaltigkeitskonzept ins Leben gerufen. Entsorgung und deren mögliche Ressourcenschonung nimmt eine wichtige Rolle hierbei ein.
Der Klimawandel und der damit einhergehende Temperaturanstieg bringen vielfältige Veränderungen der Lebenswelt mit sich. Die bevorstehende Umweltentwicklung wird auch die Gesundheit der Menschen im Wesentlichen beeinflussen. Wenn man in Betracht zieht, das 4,4 Prozent der globalen Treibhausgase durch den Gesundheitssektor emittiert wird, liegt die medizinische Versorgung somit über den Emissionen des Flugverkehrs oder der Schifffahrt. Zum Vergleich: Dies entspricht ca. dem CO2 Ausstoß von 514 Kohlekraftwerken.
Natürlich muss man vorrangig betrachten, dass unsere Hauptaufgabe darin besteht, unseren Patienten eine bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Diese Kernaufgabe hat oberste Priorität. Auch sind die abfallrechtlichen Bestimmungen und die hygienischen Vorgaben in einer Klinik speziell. Man wird also kurzfristig die Abfallmengen signifikant nicht einfach um einen hohen Faktor senken können. Umso wichtiger ist die Betrachtung der IST-Situation und welche Maßnahmen eingeleitet werden können.
Die Zielsetzung muss klar sein: Die Sortierung, die Prozesse und die Logistik so zu perfektionieren, dass dadurch die Recyclingquote ins Maximum gesteuert wird. Denn nur so können Wertstoffe wieder dem Kreislauf zugeführt werden und Ressourcen geschont werden.
Hier haben wir am UKB angesetzt und konnten innerhalb der letzten zwei Jahre Erstaunliches erreichen. Alleine durch Optimierung der gesamten Entsorgungslogistik und der Bedarfsbehälter, konnten wir eine Reduktion der Behälterleerungen um 34 Prozent erwirken. Neben der Senkung der CO2- und der Verkehrsbelastung, ist es uns gelungen, Einsparungen im mittleren fünfstelligen Bereich zu erzielen. Dafür ist es zwingend notwendig über eine ausreichende Datenbasis zu verfügen. Denn nur wenn die Probleme analysiert sind, kann man gezielt entgegenwirken. Schnell wurde uns klar, dass wir für die nächsten Schritte ein digitales System benötigen, welche mir alle notwendigen Daten skalierbar zur Verfügung stellt.
Das war die Geburtsstunde des digitalen Wertstoffmanagementsystems in Kooperation mit dem Technologieunternehmen Resourcify.
400.000 Patienten betreut das UKB, über 8000 Mitarbeiter sind am Standort. Das klingt nach viel Abfall. Können Sie uns einen kleinen Einblick in die Eckdaten des Entsorgungsmanagements am UKB geben.
Michael Schmitz: Wie die Zahlen erahnen lassen, sind wir tatsächlich fast vergleichbar mit einem kleinen Stadtteil. Hinzu kommt, das bei uns am Universitätsklinikum Bonn bundesweit der Dritthöchste „Case Mix Index“ vorliegt. Dieser beschreibt die durchschnittliche Schwere der behandelten Krankenhausfälle und den damit verbunden relativen ökonomischen Ressourcenaufwand.
Im Kalenderjahr 2019 sind am UKB gesamt 4966,099 Tonnen Abfall angefallen. Hierbei ist zu berücksichtigen, das diese nicht rein medizinischer Herkunft sind, sondern auch Bauabfälle beinhalten. Denn auch stetige bauliche Veränderungen und Erneuerungen gehören natürlich zu einem modernen Klinikum der Maximalversorgung.
Entsorgungsmanagement unterstützt durch digitale Tools
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich digitale Unterstützung zu holen, um die Entsorgung am UKB besser in den Griff zu bekommen?
Michael Schmitz: Hierbei haben einige Faktoren die Entscheidung forciert. An ein modernes, nachhaltiges und ressourcenschonendes Entsorgungsmanagement werden heute bereits deutlich höhere Anforderungen gestellt, als beispielsweise noch vor fünf Jahren. Da der Umweltgedanke zukünftig noch stärker in den Fokus rücken wird, war mir klar dass ich mit der bisherigen Struktur diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden kann.
Weiterhin ist es auch der Anspruch an den eigenen Fachbereich, diesen in den vielfältigen Facetten zukunftsweisend auszurichten und ökonomisch sowie ökologisch bestmöglich zu agieren.
Hilfreich war sicher neben unserer fachlichen Expertise auch meine Affinität zu digitalen technischen Lösungen. Ein Krankenhaus welches heute nicht digitalisiert, wird mittelfristig administrativ den Anschluss verlieren.
Wie genau funktioniert die Software, die Sie nutzen? Können Sie uns dies an praktischen Beispiel einmal ausführen?
Michael Schmitz: Resourcify ermöglichst uns, die sehr komplexe Entsorgungsstruktur am UKB sowohl abfallrechtlich, als auch kaufmännisch vollkommen transparent und digital zu spiegeln.
Alle für uns wichtigen Parameter fanden in der Entwicklung Berücksichtigung und stehen uns bei Datenabfragen transparent zur Verfügung.
Viele Prozesse konnten nahezu komplett automatisiert werden. Behälteranmeldungen erfolgen mittels QR-Code und werden ohne weitere manuellen Arbeitsschritte bis zum externen Entsorger beauftragt. Unsere operativen Mitarbeiter buchen App-basiert vor Ort auf ihren digitalen Endgeräten die Abfälle ein. Alle Daten stehen in Echtzeit auf dem Dashboard zu Verfügung. Die Fehlerquote sank bereits eindrucksvoll auf deutlich unter einen Prozent. Bei über 1.500 monatlichen Aufträgen ist dies ein zentraler Qualitätsfaktor.
Sie haben das digitale System bereits in Betrieb genommen. Können Sie bereits über weitere Ergebnisse berichten?
Michael Schmitz: Sehr gerne. Wie bereits erwähnt bewegt sich die Fehlerquote gegen Null. Weiterhin hat sich der administrative Personalaufwand um ca. 35 Prozent reduziert. So können die Mitarbeiter für wichtige Aufgaben und zur weiteren Entwicklung und Optimierung unseres Sachgebietes eingesetzt werden. Notwendiges Reporting steht skalierbar zur Verfügung. Anfang September ging zudem das automatisierte Faktura-Tool online. Ein wichtiger Schritt in Richtung papierloses Büro. Alle Entsorgungsrechnungen und Leistungsnachweise werden uns digital zugestellt, auftragsbezogen verarbeitet und innerhalb des Systems archiviert. Auch das gesamte Controlling erfolgt digital im System.
Außer die abfallrechtliche Dokumentation der gefährlichen Abfällen, fällt in unserem gesamten administrativen Ablauf kein Blatt Papier mehr an. Liest sich charmant, ist aber physisch sehr eindrucksvoll, wenn Schreibtische die regelmäßig mit Papieren überfüllt waren, nun nahezu leer sind und die Arbeit digital am Bildschirm erfolgt. Zeitintensive Ablagetätigkeiten und Aktenordner fallen bei uns nicht mehr an.
In einigen Bereichen konnten wir bereits Aufgrund vorliegender Analysen erste Maßnahmen ergreifen, welche unsere Recyclingquoten erhöhen. Unsere Entsorgungslogistik konnten wir weiter optimieren, dabei sogar unsere Reaktionszeit verkürzen und somit unsere Dienstleistungsqualität verbessern.
Auch auf rechtlicher Ebene hat die Nutzung der Technologie Vorteile. Können Sie uns diesen Bereich beschreiben.
Michael Schmitz: Jedes Klinikum fungiert in abfallrechtlicher Funktion als Abfallerzeuger.. Der Gesetzgeber hat im Abfallrecht die Rolle inklusive der damit verbundenen Pflichten klar definiert.
Der Erzeuger ist für die gesamten Abfälle verantwortlich bis zur nachweislichen Annahme bei der zertifizierten Entsorgungsanlage. Es reicht also nicht aus, nur ein Entsorgungsunternehmen mit der Entsorgung zu beauftragen.
In unserem digitalen System ist von jeder anfallenden Abfallart der Entsorgungsweg dokumentiert. Somit sind wir in der Lage, jeden entsorgten Behälter, den Beförderer sowie die Entsorgungsanlage inklusive aller behördlichen ID-Nummern transparent darzustellen. Wir sind rechtlich immer auf der sicheren Seite und können Behördenanfragen innerhalb weniger Minuten rechtssicher bearbeiten.
Ein Teil des Systems beinhaltet Mitarbeiterschulungen. Wie sehen diese aus und was wird geschult?
Michael Schmitz: Hier müssen wir einen Unterschied machen zwischen den Mitarbeitern in unserem Entsorgungsfachbereich und allen weiteren Mitarbeitern, wie zum Beispiel dem Pflegepersonal im Klinikum. Der Tätigkeitsbereich und das Berufsbild unserer operativen Mitarbeiter hat sich mit der Integration des digitalen Systems schon deutlich verändert. Hierfür waren selbstverständlich Mitarbeiterschulungen notwendig.
Auch hier konnten wir eine beeindruckende Entwicklung und Motivation der Mitarbeiter feststellen.
Aus ursprünglichen „Müllwerkern“ wurden „operative Sachbearbeiter“ mit einem höheren Verantwortungsbereich. Die Schulungen der weiteren Mitarbeiter zum Beispiel des Pflegepersonals, bezieht sich auf die Abfallentstehung auf den Stationen beziehungsweise deren Abfalltrennung oder Zuordnung.
Wir können jetzt die Abfallströme exakt bis zur kleinsten Anfahrstelle zuordnen. Bei Auffälligkeiten oder Unregelmäßigkeiten in der Recyclingquote wird gezielt am Entstehungsort nachschult. Das erhöht langfristig das Umweltbewusstsein bei allem Mitarbeitern und legt den Grundstein für weitere Optimierungen.
Digitales Wertstoffmanagement
Sie haben nun eine Übersicht über die konkreten Abfallmengen. Was sind die nächsten Schritte, die sie mit der technischen Unterstützung umsetzen möchten?
Michael Schmitz: Unserer nächstes Ziel ist selbstverständlich die Abfallvermeidung, die maximale Erhöhung der Recyclingquote und die weitere Optimierung der Logistik. Eine fehlerfreie, skalierbare und perfekte Datenqualität ist für mich unabdingbar, um weitere Verbesserungen zielgerecht zu erwirken. Nur wenn wir die Schwachstellen kennen, können wir mit den geeigneten Stellschrauben entgegenwirken.
Mit den Analyse-Tools sind wir in der Lage, jede Anfallstelle uszuwerten und zu beleuchten. Weiterhin können wir mittels eines Datenabgleiches Schwachstellen im Entsorgungsprozess erkennen. Nach Anpassungen im Entsorgungsprozess erstellen wir Reportings, um auszuwerten, ob die Optimierung den gewünschten Erfolg zeigt oder noch Bedarf zur Feinkorrektur besteht.
Wir analysieren nun monatlich unsere Daten um stetig noch weitere Verbesserungen zu erzielen.
Denken Sie, den Weg den Sie beschreiten, könnten andere Kliniken auch umsetzen?
Michael Schmitz: Ja, da bin ich mit sicher. Das digitale Wertstoffmanagementsystem von Resourcify wurde gemeinsam zu einer Branchenlösung für medizinische Einrichtungen weiterentwickelt und kann somit als Blaupause dienen. Kliniken beziehungsweise Krankenhäuser sind von der Entsorgungsstruktur und den anfallenden Abfallarten nicht gut mit anderen gewerbetreibenden Abfallerzeugern vergleichbar. Somit sind dort passende EDV-Lösungen oft nicht auf ein Klinikum skalierbar.
In einer Klinik steht immer die Patientenversorgung im täglichen Fokus. Die Entsorgung von Abfällen ist ein Nebengewerk, dem häufig nicht viel Aufmerksamkeit zuteil kommt. Je nach Größe des medizinischen Hauses, ist die Entsorgung nur eine Zusatzaufgabe eines Mitarbeiters, der sonst noch weitere Bereiche betreut. Gerade hier hilft das digitale System, mit geringen Zeitaufwand eine gute Entsorgungssituation zu erwirken und über eine rechtssichere Datenbasis als Abfallerzeuger zu verfügen. Diese Rechtssicherheit ist auch für kleinere Häuser wichtig. Auch dort sind große ökologische und ökonomische Einsparungen möglich.
Insgesamt stellt dieses Systemeine Win-Win-Situation für jedes Klinikum und die Umwelt dar, denn gesunde Menschen können nur auf einem gesunden Planeten leben.
Vielen Dank für das Gespräch.